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Materialien aus Fortbildungen der SPSH: 'Neue Rechte - Alte Linke? Zum Rechtsextremismus'
im Juli 2001, Referatsbeitrag von Christian Schultz

Zur Endlagerung von Auschwitz
»Wir bauen eine U-Bahn von St. Pauli nach Auschwitz«
(Leipziger Fußballfans beim Spiel VFB Leipzig gegen FC St. Pauli)

 

 

Prolog: Das Debakel von Bitburg
1. Etappe: Die 'Historiker-Debatte'
2. Etappe: Die Goldhagen-Kontroverse
3. Etappe: Die Wehrmachts-Ausstellung
4. Etappe: Das 'Schwarzbuch des Kommunismus'
Literatur

  Prolog: Das Debakel von Bitburg
  Am 8. Mai 1985 - dem 40. Jahrestag der deutschen Kapitulation - weilt Ronald Reagan in der BRD. Auf Druck der amerikanischen Öffentlichkeit soll an diesem Tag ein KZ-Besuch stattfinden. Helmut Kohl, der schon im Jahr zuvor darauf gedrängt hatte, zum 40. Jahrestag der alliierten Landung in der Normandie eingeladen zu werden, sich damit aber nicht durchsetzen konnte, hat einen anderen Vorschlag: Ein gemeinsamer Besuch auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg, auf dem auch SS-Männer begraben liegen. Man einigt sich darauf, beides zu tun. In Begleitung je eines Weltkriegsgenerals reicht man sich in Bitburg medienwirksam über den Gräbern die Hand.
Die Inszenierung gerät zu einem Debakel. Nicht endende wollende Proteste insbesondere auch in den USA bedeuten für Reagan die bis dahin schlimmste publizistische Niederlage seiner Amtszeit und für Kohl einen weiteren gescheiterten Versuch, sich auf die Seite der Sieger des zweiten Weltkriegs zu stehlen und die 'Gnade der späten Geburt' international ratifizieren zu lassen.
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  1. Etappe: Die 'Historiker-Debatte'
  'Die Zukunft gewinnt, wer die Erinnerung füllt, die Begriffe prägt und die Vergangenheit deutet.'
(Michael Stürmer, Historiker und Kohl-Berater)

  Ein Jahr später - also 1986 - findet die sog. Historiker-Debatte oder auch der Historiker-Streit statt. Dabei ist der Name aus verschiedenen Gründen etwas schief. Der Streit findet nämlich nicht - wie man vielleicht annehmen könnte - in Fachzeitschriften statt, sondern in den Feuilletons, Kommentar- und Leserbriefspalten der wichtigsten deutschen Tages- und Wochenzeitungen. FAZ, Welt und Rheinischer Merkur/'Christ und Welt' auf der einen, FR, Zeit und Spiegel auf der anderen Seite sind die Foren des Streits. Daher geht es auch nicht um neue Forschungsergebnisse (obwohl dies z.T. von konservativer Seite behauptet wird), sondern um neue Interpretationen altbekannter Fakten, und selbst hier stimmt neu nur in dem Sinne, dass bestimmte Thesen, die bisher nur rechtes bzw. rechtsradikales Schriftgut zierten, zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert werden. 'Streit ums Geschichtsbild' (nach Reinhard Kühnl) wäre also eigentlich der bessere Name.
Schließlich ist es keineswegs ein Historiker, der den Anstoß liefert, sondern der Philosoph Jürgen Habermas bringt mit seinem Artikel in der Zeit 'Eine Art Schadensabwicklung. Die apologetischen Tendenzen in der deutschen Zeitgeschichtsschreibung' den Stein ins Rollen (Habermas ist es auch, der den Terminus Entsorgung der Vergangenheit einführt, dessen Metaphorik ich in meinem Titel zeitgemäß zugespitzt habe). Habermas befasst sich in seinem Artikel mit zwei Veröffentlichungen konservativer Historiker und arbeitet ihren revisionistischen Gehalt heraus: zum einen Andreas Hillgrubers in mehreren Teilen in der Welt und später als Buch veröffentlichtem Essay 'Zweierlei Untergang. Die Zerschlagung des Deutschen Reiches und das Ende des europäischen Judentums' , zum anderen Ernst Noltes in der FAZ veröffentlichtem Vortrag 'Vergangenheit, die nicht vergehen will'.
Hillgruber beschäftigt sich in seinem Essay insbesondere mit den letzten beiden Kriegsjahren. Er betreibt seine Geschichtsschreibung dabei nach eigener Aussage aus der Perspektive der Identifikation mit der deutschen Bevölkerung im Osten und dem deutschen Ostheer. Die Ergebnisse sind entsprechend: Die deutsche Ostfront konnte und durfte nicht kapitulieren, obwohl die unvermeidliche Niederlage absehbar war, weil die Rache der Roten Armee auch für die deutsche Zivilbevölkerung fürchterlich gewesen wäre und jede noch so kleine Chance, dieser die Flucht nach Westen zu ermöglichen, genutzt werden mußte. Dahinter hatte auch die Befreiung der KZ-Häftlinge zurückzustehen - wo das Morden bis November '44 munter weiter ging, was, wie Hillgruber durchaus zustimmend Norbert Blüm zitiert, bei einem früheren Fall der Ostfront hätte verhindert werden können. Außerdem aber bot 'das deutsche Ostheer ... einen Schutzschirm vor einem jahrhundertealtem deutschen Siedlungsraum', welcher wiederum 'für das übrige Europa' eine 'Vermittlerrolle zwischen Baltikum und Schwarzen Meer eingenommen hat' und damit 'als ordnende Mitte fungiert'. Hillgrubers Schlussfolgerung: 'Diesen Krieg hat ganz Europa verloren.'
Die Konsequenzen sind klar: Bereits im zweiten Weltkrieg hat Deutschland im Gegensatz zu Frankreich und England - die auch noch durch eigene Interessen verblendet waren - verstanden, wo der eigentliche Feind steht - die Sowjetunion. Ein 'extrem negatives, klischeehaftes Preußenbild' der Westmächte führt lange vor dem Bekanntwerden des Holocaust zum Beschluss der Zerschlagung Preußens, so dass sich Deutschland nicht nur allein gegen die 'Überflutung durch die rote Armee' eines Stücks europäischen Kernlandes stemmen musste, sondern die Westmächte auch noch dolchstossartig diese heroische Tat zum Scheitern verurteilten.
Während Hillgruber zumindest die Nazi-Verbrechen klar benennt, sind die Dinge bei Nolte anders gelagert. Ernst Nolte nämlich geht die Frage nach der Einmaligkeit der Nazi-Verbechen direkt-indirekt an. Im Modus des Fragens suggeriert er, dass der Mord an den Juden eine Reaktion der Nazis auf die Untaten Stalins war - per se verständlich also und zusätzlich durch Angst gespeist:
'Vollbrachten die Nationalsozialisten, vollbrachte Hitler eine 'asiatische' Tat vielleicht nur deshalb, weil sie sich und ihresgleichen als potentielle oder wirkliche Opfer einer 'asiatischen' Tat betrachteten? War nicht der Archipel GULag ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der 'Klassenmord' der Bolschewiki das logische und faktische Prius des 'Rassenmords' der Nationalsozialisten? Sind Hitlers geheimste Handlungen nicht gerade auch dadurch zu erklären, dass er den 'Rattenkäfig' nicht vergessen hatte?' (zit. nach Streit, S. 36)
Zusätzlich erklärt Nolte die Verbrechen der Nazis 'mit alleiniger Ausnahme des technischen Vorgangs der Vergasung' als alle schon mal da gewesen bzw. in der Literatur beschrieben. Es gibt also recht eigentlich keine Einzigartigkeit der Nazi-Verbrechen, und falls es sie doch geben sollte (der technische Vorgang), dann erklärt sich das aus Hitlers (!) Angst vor dem Rattenkäfig.
Mit dieser Position nun hatte Nolte ganz offensichtlich (und mehr als Hillgruber, dessen Position in der weiteren Diskussion keine so große Rolle spielte) einen Konsens gebrochen. Obwohl Habermas' Artikel ein Aufheulen der konservativen Zeitungen zur Folge hatte und u.a. die Kollegen Hildebrand, Stürmer und Fest Nolte und Hillgruber zur Seite sprangen und mit z.T. übler Polemik über den 'Nicht-Historiker' Habermas herfielen, bekam Habermas auch alsbald Unterstützung liberaler Historiker, so von W. Mommsen, Kocka, Broszat und Jäckel.
Im Verlauf der Debatte radikalisierte Fest Noltes Standpunkt in der Frage der Vergleichbarkeit der Nazi-Verbechen mit denen des Stalinismus, indem er nicht mehr nur die Frage nach der Einzigartigkeit der Nazi-Verbrechen stellte, sondern explizit deren Vergleichbarkeit mit Stalin behauptete. Die FAZ ihrerseits würzte die Debatte mit einer weiteren These, die den Charakter des zweiten Weltkrieges als deutschen Aggressionskriegs in Frage stellte. Vielmehr habe es sich um einen Präventivkriegs Hitlers bei unmittelbar bevor stehender Kriegshandlungen Stalins und der Sowjetunion gehandelt.
Die inhaltlichen Unterstellungen der konservativen Seite konnten von den liberalen Historikern recht gut entkräftet werden. So wies insbesondere Jäckel nach, dass Noltes 'Fragen' seit langem als gut beantwortet gelten können, da die Dokumentenlage zur Judenvernichtung eindeutig ist und ein 'Rattenkäfig' da nicht drin vorkommt. Auch die angeblichen Kriegsvorbereitungen der Sowjetunion konnten als haltlose Spekulation entlarvt werden. Und so war es kein Wunder, dass im allgemeinen die Historiker-Debatte als Niederlage der konservativen Seite gewertet wurde. So hatte sich etwa auch der Präsident des Historiker-Verbandes - der konservative Althistoriker Christian Meier - in seinem Beitrag 'Kein Schlußwort' - was es in gewisser Weise trotzdem war - in den wesentlichen Fragen auf die Seite Habermas' gestellt, obwohl er eine vermittelnde Position einzunehmen trachtete.
Insgesamt stellt die Historiker-Debatte einen Vorstoß konservativer Historiker dar, Positionen diskutierbar zu machen, die bis dahin allein auf der extremen Rechten vertreten wurden, und damit einen herrschenden Konsens in Frage zu stellen. Die konzertierte Art und Weise, in der dies geschah, die Medienpräsenz, die der Vorstoß hatte, sowie die Tatsache, dass die wesentlichen Protagonisten alle als Berater zum Kohl'schen 'Haus der Geschichte' in Bonn fungierten, läßt vermuten, dass dieser Vorstoß durchaus geplant vorgenommen wurde. Dabei ging es wohl weniger darum, die jeweiligen Positionen als hegemoniefähig zu installieren, sondern die Grenzen des Diskutablen ein Stück in eine solche Richtung zu verschieben, um insgesamt den Boden zu bereiten für zukünftige Diskussionen um die deutsche Stellung in der Welt und sich daraus ergebende Politikoptionen.
Dafür spricht beispielsweise die Form, in der die Thesen zum großen Teil von konservativer Seite vorgetragen wurden: Man stellte suggestive Fragen, die nur implizit bestimmte Behauptungen enthielten, um sodann, wenn die Gegenseite gereizt auf diese impliziten Behauptungen reagierte, mit dem Duktus 'Man wird doch wohl noch fragen dürfen' 'Denkverbot' zu rufen und dem Gegner totalitäre Anwandlungen zu unterstellen. (So bezeichnet etwa Fest Habermas als 'Mandarin der Mythen'.) Gleichzeitig erwirbt man sich so in den Medien den Ruf des 'Querdenkers' und 'Tabubrechers'; zwei Titel, die seit jener Zeit alle Mal darauf verweisen, dass wieder einmal jemand bereit war, ein Stück dumpfer Stammtischmentalität mit offiziellen Weihen zu adeln.

Gleichzeitig wird in der Historiker-Debatte das Material bereitgelegt, das in den weiteren Debatten immer wieder aufs Neue bearbeitet wird:
  - Die Frage der Einzigartigkeit der Nazi-Verbrechen, deren Relativierung durch den Vergleich mit anderen Schreckensregimen im allgemeinen und mit kommunistischen Schreckensregimen insbesondere vorangetrieben wird. Wertvoll ist dafür insbesondere die Totalitarismustheorie, die sich auf die einfache Formel 'Braun = Rot' bringen läßt, woraus unmittelbar folgt, weil Braun der Vergangenheit, Rot aber z.T. noch der Gegenwart angehört, der Antikommunismus die einzig antitotalitäre Haltung ist. (Modell J. Fischer: Wir bombardieren Belgrad, weil wir aus Auschwitz gelernt haben)
  - Die Frage der Legitimität des deutschen Angriffskrieges: Wollte nicht Hitler Europa vor der 'roten Flut' schützen - ein legitimes Ziel, das seither die Nato verfolgte, bis ihr der Gegner ausging, wodurch sie gezwungen ist, sich doch wieder mehr auf den Imperialismus zu besinnen. Und hat nicht der jüdische Weltkongreß Deutschland 1939 den Krieg erklärt, weswegen die Verbechen an den Juden eigentlich Krieghandlungen waren (ein Argument, das auch in der Historiker-Debatte kam, aber kollektiv beschwiegen wurde)?
  - Schließlich die Frage der Kollektivschuld, die 'wir' nicht länger zu tragen bereit sind und deswegen energisch einen Schlussstrich fordern, da die Gnade der späten Geburt uns aus der Verantwortung für das Geschehene entlässt und ja Deutschland nicht ewig im Büßerhemd herumlaufen kann. Dabei wird grundsätzlich übersehen, dass die Kollektivschuldhypothese eine Schimäre ist, die auf der Art und Weise der Verarbeitung der Nazi-Zeit in der jungen BRD beruht: dem von Haug so genannten Hilflosen Antifaschismus, der die sozioökonomischen Grundlagen des Faschismus ausblendet und ihn auf Hitler als das personifizierte Böse reduziert. Die Schuld 'der' Deutschen wird zu einer moralischen, nämlich sich verführt haben zu lassen von diesem Teufel in Menschengestalt, und sie trifft alle gleich, weil die Kämpfe um die faschistische Massenbasis und den Widerstand dagegen ausgeblendet wird. Das bleibt, ist der Widerstand moralischer Helden wie der Geschwister Scholl sowie der antidemokratische Widerstand des 20. Mai '44 - Einzeltaten, die zur Identifikation mit der eigenen Geschichte nicht taugen.
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  2. Etappe: Die Goldhagen-Kontroverse
  'Ich habe große Schwierigkeiten - mit dem Buch wie mit dem Mann.'
(Der Historiker Arnulf Bahring am 8.9.96 im ZDF)

  1996 veröffentlicht der amerikanische Historiker Daniel Jonah Goldhagen sein Buch Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, dessen deutsche Übersetzung noch im gleichen Jahr zunächst als Vorabdruck in der Zeit veröffentlicht wird.
Goldhagen beschäftigt sich in seinem Buch mit den Motiven der Täter und stellt dabei die bisher in dieser Forschung vorherrschende Prämisse in Frage, dass diese Täter ihre Verbrechen 'eigentlich' nicht verüben wollten und die Forschungsfrage deshalb ist, wieso sie es dennoch taten (was dann zu Konstruktionen wie 'Gehorsamszwang' und 'autoritärem Charakter' führt).
Goldhagens Grundthese ist, dass die Täter absichtsvoll und bewußt handelten; die Grundlage für diese Taten bildet für G. ein kognitives Modell, dass sich in Deutschland seit dem Mittelalter herausgebildet hat und von dem ein Großteil der deutschen Bevölkerung geprägt war: der eliminatorische Antisemitismus. Dazu beschreibt G. die Verbindung zwischen Nationalismus und Antisemitismus seit dem 19. Jahrhundert:
'Historische manifestierte sich der Nationalismus, insbesondere in Deutschland, stets Hand in Hand mit dem Antisemitismus, da die Nation sich nicht zuletzt durch ihren Gegensatz zu den Juden definierte.' (HwV, S. 66)
Dieser Gegensatz und die Überzeugung, dass die Andersartigkeit des Juden bösartig und zersetzend für die deutsche Nation ist, führt bis dahin, dass dem Juden im christlich-deutschen Bewusstsein das Menschsein abgesprochen wird. Deswegen wollten die Täter des Holocaust Juden töten; sie hielten die Massenvernichtung für gerechtfertigt.

G. belegt seine Thesen mit dem Nachweis
  • dass ein Großteil des Massenmords an den Juden außerhalb der Vernichtungslager durch die Polizeibataillone in den Arbeitslagern und auf den Todesmärschen stattfand
  • dass es sich hier bei den Tätern keineswegs um SS-Männer oder eingefleischte Nationalsozialisten handelte, sondern um militärisch nur unzureichend geschulte, nicht speziell indoktrinierte ältere Männer
  • dass der Handlungsspielraum dieser Täter sehr viel größer war als bisher angenommen, da eine Weigerung, an den Erschießungen teilzunehmen, keine Sanktionen zur Folge hatte; im Gegenteil wurden die Tötungstrupps zumeist aus Freiwilligen zusammengestellt
  • dass bei den 'Todesmärschen' bei Vorrücken der Roten Armee an der Ostfront selbst dann noch weitergemordet wurde, als Himmler im November '44 den Befehl zu dessen Beendigung gab
Die Reaktion auf Goldhagens Buch war in Deutschland vernichtend. Eine große Koalition von FAZ bis taz nahmen weniger das Buch (das auf Deutsch noch gar nicht erschienen war) als die Person ins Visier. Dem 'nicht-promovierte' 'Juniorprofessor' wurde z.B. vom Spiegel die Möglichkeit abgesprochen, ein objektives Buch zu dem Thema zu schreiben, weil sein Vater ein Holocaust-Überlebender sei. Besonders hervor beim Versuch, Goldhagen lächerlich zu machen, tat sich auch die taz: 'in der Tat wird hier das Fantasy-Material der vierziger und fünfziger Jahre neu aufbereitet, eine Art Pulp- Fiction mit soziologischem Tarncode.' Mit großem polemischen Aufwand wurde so die inhaltliche Auseinandersetzung im wesentlichen abgewehrt.
Inhaltliche Kritik hob vor allen Dingen G.s Sichtweise der Deutschen als Täter hervor und unterstellte ihm selber Rassismus. Ein gewisser Norman Finkelstein erlangte zum ersten Mal größere Aufmerksamkeit dadurch, dass er G. die Hilfsbereitschaft von Deutschen gegenüber den Juden selbst nach 12 Jahren Nazi-Herrschaft vorhielt. Außerdem sorgte er für einen neu-alten Zungenschlag in der Debatte dadurch, dass er G. vorwarf, er stehe im Dienst einer 'zionistischen Weltverschwörung', die mit Hilfe ihrer 'Holocaust-Industrie' Kritik an der israelischen Palästina-Politik zum Schweigen bringen wolle.
Der wesentliche Punkt in dieser Debatte ist aber die Kollektivschuldhypothese. Goldhagen war ja tatsächlich angetreten mit dem Vorsatz, nachzuweisen, dass eine Vielzahl Deutscher während der Nazi-Zeit in einem Ausmaß individuelle Schuld auf sich geladen haben und deshalb von einer kollektiven Schuld der Deutschen die Rede sein kann. Trotzdem heißt dies nicht, dass alle Deutschen durch den Mord an den Juden abstrakt Schuld auf sich geladen haben, die auch für folgende Generationen Gültigkeit besitzt - der Pappkamerad, auf den in der revisionistischen Diskussion nur allzu gerne eingedroschen wird, um Stimmung zu erzeugen. Im Fall Goldhagen wurde dies besonders deutlich dadurch, dass G. 1997 anlässlich der Verleihung des Demokratie-Preises der Blätter für deutsche und internationale Politik an ihn Deutschland in seiner Vergangenheitsbewältigung als 'vorbildlich' lobte. Bereits in seinem Buch hatte er den Antisemitismus in Deutschland für überwunden erklärt.
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  3. Etappe: Die Wehrmachts-Ausstellung
  'Ein moralischer Vernichtungsfeldzug gegen das deutsche Volk '
(Bayernkurier)

  Spätestens seit Anfang 1997 entzündete sich die Debatte um die Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944, die zum damaligen Zeitpunkt in München gastierte und zum Agitationsfeld konservativer und rechtsradikaler Propaganda wurde.
Die vom Hamburger Institut für Sozialforschung konzipierte Ausstellung informierte erstmals öffentlichkeitswirksam in Wort und Bild über in der Forschung seit langem bekannte Fakten zur aktiven Rolle der Wehrmacht in der Vernichtungspolitik gegen Juden, Roma und Sinti. Die Angriffe rechtsgerichteter Kräfte gegen diese Ausstellung von Demonstrationen bis zu einem Bombenanschlag wurden in der Presse breit dokumentiert. Der Tenor war, dass hier Nestbeschmutzer das Andenken der Wehrmacht beschmutzen, der Helden des zweiten Weltkrieges und unserer Väter, die in getreuer Pflichterfüllung von Hitler nur benutzt wurden und nichts weiter taten als das Vaterland zu verteidigen.
Weniger bekannt ist, dass die Konzeptoren mit der Ausstellung keineswegs allein die Kritik der von der Wehrmacht begangenen Verbrechen bezweckt haben, sondern im Gegenteil als Schritt zu Verständnis und Einfühlung gegenüber deutschen Tätern und damit zur Versöhnung zwischen den Generationen. Dies allerdings erfordere - so Hannes Heer, der Leiter der Ausstellung - einen 'katharthischen Prozess', bei dem 'wir, das deutsche Volk', der Wahrheit ins Gesicht sehen. Letztlich, so Jan Philipp Reemtsma, habe das Schweigen über die Wehrmacht ja auch bedeutet, den Heldenstatus und die Leiden der deutschen Soldaten nicht thematisieren zu können.
In einer 'epochemachenden' (Heer) Debatte im deutschen Bundestag wurde dieses Programm der Versöhnung in der Form umgesetzt, dass zunächst der deutschen Opfer des zweiten Weltkrieges gedacht wurde, um dann auch den Verlust zu beklagen, 'den die Nazis durch die Vernichtung der deutschen Juden vor allem auch Deutschland zugefügt haben' (Dregger), da diese ja viel für Deutschland 'geleistet' haben.
Im Oktober '99 versuchten ein ungarischer und ein polnischer Historiker unter journalistischer Begleitung der FAZ der Ausstellung Ungenauigkeiten nachzuweisen und wurde bei ca. einem Dutzend Fotos fündig. Daraufhin beschlossen die Veranstalter ein Moratorium zur Überarbeitung der Ausstellung, die auch eine stärkere Berücksichtigung kommunistischer Verbrechen beinhalten soll.
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  4. Etappe: Das 'Schwarzbuch des Kommunismus'
  'Ich halte den Nationalsozialismus, abgesehen von seinem Verhalten gegenüber den Juden, nur für semi-totalitär.' (Stéphane Courtois, Schwarzbuch-Herausgeber)

  Am 6. November 97 erschien in Frankreich das 'Schwarzbuch des Kommunismus'. Bereits Wochen vorher hatte der Verleger des Buches im Rahmen einer PR-Kampagne verkündet, innerhalb eines Monats nach Erscheinen des Buches werde es in Frankreich keine kommunistische Partei mehr geben: damit war der Feind klar benannt.
Das Schwarzbuch selber ist ein dickleibiger Sammelband mit Beiträgen von elf französischen Historikern, die zum großen Teil eine maoistische Vergangenheit haben. Die einzelnen Beiträge befassen sich mit den Gegenden der Welt, die kommunistisch regiert waren bzw. zumindest eine starke kommunistische Bewegung hatten: die Sowjetunion, China, Vietnam, Laos, Kambodscha, Korea, die osteuropäischen Staaten, Kuba und die mittelamerikanischen Staaten usw. Vergessen hingegen hatte man die DDR, für die man für die 1998 in Deutschland erschienene Ausgabe zwei zusätzliche Artikel von Joachim Gauck und Erhard Neubert aufnahm. Durch die Artikel von unterschiedlicher Qualität und Länge zieht sich als roter Faden die Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus, die letztlich in die Zahl seiner Opfer münden soll.
Der Herausgeber Stéphane Courtois hat dazu je ein Vor- und Nachwort beigesteuert, die in ausgesprochen plakativer Weise vorgeben, die Ergebnisse zusammenzufassen. Dies führte im Autorenkreis zu Differenzen. Die Verfasser des Sowjetunions- und des China- Beitrages erklärten sich mit Courtois' Aussagen nicht einverstanden und mussten durch die Androhung rechtlicher Schritte zur Abgabe ihrer Manuskripte gebracht werden. Auch eine reißerische Buchbinde '100 Millionen Tote', die dem Buch zum Zwecke der Absatzförderung beigegeben wurde, beruht auf den Courtois'schen Aussagen, nicht den der anderen Autoren.

Von Courtois werden folgende Grundideen vertreten:
  • Der Kommunismus kann als räumlich und zeitlich einheitlich begriffen werden, eine Differenzierung ist nicht notwendig: 'Stalinismus und Kommunismus, das ist dasselbe'
  • Die Idee einer sozialistischen Revolution ist von Anfang an verbrecherisch, weil sie die bürgerliche Klasse für historisch überholt erachtet und so deren Liquidierung als Klasse gerechtfertigt wird
  • Die Totalitarismus-Theorie ist der Analyse-Rahmen; es gibt einen 'Klassentotalitarismus und einen 'Rassentotalitarismus', die zu 'Klassengenozid' und 'Rassengenozid' führen
  • Der Rassengenozid der Nazis ist also kein singuläres Verbrechen; im Gegenteil ließen sich die Nazis bei den 'Techniken der Massengewaltausübung von den Kommunisten ...inspirieren'
  • Dagegen sind die Opfer des Kommunismus schlimmer dran als die des Faschismus: 'Im Unterschied zur jüdischen Tragödie - die internationale jüdische Gemeinde hält die Erinnerung an den Völkermord wach - war es den Opfern des Kommunismus und ihren Angehörigen lange verwehrt, das Gedächtnis des tragischen Geschehens in der Öffentlichkeit zu pflegen, da jegliche Erinnerung oder Rehabilitationsforderung verboten war.' (SdK, S. 31)
  • Daran schuld sind zwei Gruppen: 'Israel benutzt gewisse Dinge, um international Politik zu treiben'. Und: die Linke, die immer noch nicht mit der Idee der Revolution abgeschlossen hat, statt Trauerarbeit zu leisten und die Verbrechen des Kommunismus endlich mal wahrzunehmen. 70 Jahre Stalinismus-Kritik der Linken von Trotzki über Korsch, Lukacs, Marcuse bis Mandel und wie sie alle heißen haben ihren Weg in die maoistische Gummizelle offensichtlich nicht gefunden
Nachdem das Feld so bereitet ist und Courtois noch einmal betont hat, dass er keine 'makabren arithmetischen Vergleiche' machen möchte, kann er ans Aufrechnen gehen.
Dabei werden auf Seiten des Kommunismus auch die Bürgerkriegsopfer nach der Oktober-Revolution mitgezählt, ebenso die in Folge von Hungersnöten Gestorbenen, was Courtois damit rechtfertigt, dass der Kommunismus den Hunger als Mittel der Massenvernichtung erfunden hat. Die Aufrechnung erfolgt natürlich im Weltmaßstab, da er ja von einem einheitlichen Kommunismus ausgeht. Alsdann werden die Zahlen nach oben abgerundet; so geht er von 20 Millionen Opfern in der Sowjetunion aus, was selbst bei seinem selbst nicht gerade kleinlich vorgegangenen Fachautor Weerth Kritik auslöst, der nur von 15 Millionen Opfern ausging (sonst ist 6 Millionen eine übliche Schätzung). Damit Courtois aber auf seine 100 Millionen Opfer kommt, muss er von zwischen 44,5 und 72 Millionen größtenteils verhungerter Chinesen ausgehen - eine Zahl, die unwahrscheinlich, aber schwer zu widerlegen ist, weil gerade darüber nur spekuliert werden kann.
Umgekehrt überrascht Courtois mit der Behauptung, es habe nur 25 Millionen Opfer des Nationalsozialismus gegeben. Allgemein geht man sonst von 50-55 Millionen aus. Er kommt zu dieser Zahl, indem er zum einen einfach nach unten ‚korrigiert' und indem er nur die in den besetzten Ländern getöteten Zivilisten mitzählt, während Kombattanten und Partisanen herausfallen - womit zugleich die Verbrechen der Wehrmacht eliminiert wären. Auf diese unappetitliche Weise kommt er zu seinen Opferzahlen und suggeriert damit, der Kommunismus sei viermal so schlimm wie der Nationalsozialismus; eine Botschaft, die natürlich eine breite dankbare Aufnahme fand.
Die Reaktion auf das Schwarzbuch in Frankreich fällt sehr gemischt aus. Ein UDF-Abgeordneter trägt die Debatte ins Parlament mit der Intention, die kommunistischen Minister aus der Regierung zu entfernen. Jospin stellt sich daraufhin in einer Rede explizit hinter die KPF: 'Ich bin stolz, dass der Kommunismus in meiner Regierung vertreten ist.' Als er außerdem an die aus der Resistance hervorgegangene Regierung von Gaullisten und Kommunisten nach dem 2. Weltkrieg erinnert und anmerkt, es sei kein Zufall, dass das Ansinnen von der UDF, nicht aber von den Gaullisten kam, zieht die UDF aus dem Parlament aus, während die Gaullisten sitzen bleiben.

'Männer wuchsen Brüste, und Frauen wurden zu Männern'
(Erhard Neubert, DDR Spezialist)

Für die deutsche Ausgabe, die mit einem zehnteiligen Vorabdruck in der BILD massenwirksam annonciert wird, wurden zwei Artikel der Pastoren Gauck und Neubert über die Verbrechen der DDR hinzugefügt. Insbesondere im wesentlich längeren Artikel von Neubert entgleitet dem Autor in dem Bemühen, die Gleichartigkeit von NS und SED zu zeigen vollends jede Logik. So werden die 'Millionen Menschen Europas..., auch Millionen Deutsche', die den Nazis zum Opfer fielen, in einem Atemzug mit den 'tausenden Menschen' , die die Etablierung und Aufrechterhaltung des kommunistischen Macht in Ostdeutschland das Leben kostete, genannt. 'Und wer ist schuld an dem Tod von über einer Million deutschen Soldaten, die in sowjetischer Kriegsgefangenschaft starben?' Überraschenderweise ein 'Ineinander von Ursachen und Folgen', für die die passende Antwort 'Trauer über Deutschland und Klage um die Opfer' ist.
Aber was ist der DDR vorzuwerfen? Nicht weniger als die 'Liquidierung der Gesellschaft', die zwar nicht in physischer Vernichtung, aber in 'semantisch auffällige Gemeinsamkeiten' mit den Nazis mündete. Zur Diskreditierung von Dissidenten haben sich nämlich selbst die Medien einer 'sexistischen und fäkalistischen Sprache' bedient, die der 'monströsen Dimension der Gewaltpotentiale' entsprochen hätte. Liquidiert wird allerdings vorwiegend 'in immateriellen Bereichen', so z.B. das 'genuin Politische' durch die 'Entpolitisierungs-strategien .. in den SED-eigenen Unterhaltungskünsten.' Liquidiert im immateriellen Bereich wird weiterhin mit Plattenbauten, Staatsdoping und Konzentrationslagern, und überhaupt war ja, wie allgemein bekannt, die DDR ein 'real existierendes größtes Isolierungslager mit 17 Millionen Insassen'. Da ist klar, dass es nicht gelingen wird, 'die kommunistischen Verbrechen angesichts der Naziuntaten zu legitimieren.'
Da ist es natürlich ungemein praktisch, daß es eigentlich ja auch um die umgekehrte Prozedur geht. Folglich fand das Schwarzbuch in der konservativen Presse ungeteilte Begeisterung, und von Junge Freiheit bis Ernst Nolte fühlten sich alle bestätigt in dem, was sie ja sowieso schon immer verkündet hätten und was ja nun wohl unwiderleglich nachgewiesen sei.
Aber auch die ehemalige Gegenseite aus dem Historiker-Streit konnte sich z. T. für die neue Art des Aufrechnens erwärmen. So fand etwa der Spiegel nur lobende Worte für das Schwarzbuch. Gleichzeitig wurde jeder selber zum Stalinisten ernannt, der nicht Stalinismus und real existierenden Sozialismus von 1917-91 gleichsetzen will.
Zeit und Süddeutsche brachten jeweils Pro- und Contra-Artikel, während die FR als einzige Zeitung eine überwiegend kritische Berichterstattung betrieb. Bei der taz dagegen gefiel besonders der Bekennergestus der Autoren, der die redaktionseigene Ex-Maoisten-Fraktion zu eigenen Höchstleistungen gegenüber den Kritikern trieb, deren ‚Immunisierungsstrategie' man natürlich sofort durchschauen und als ‚stalinistische Phantomschmerzen' entlarven konnte: 'Don't touch my Holocaust' - so originell antwortete die taz den Verdrängern und konnte wieder einmal das Gelbe Trikot für Tabubruch und Querdenken erringen.
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  Literatur:
  Courtois, S. (Hg.): Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror, München 1998
Goldhagen, D.: Hitler willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin 1996
Haug, W.F.: Vom hilflosen Antifaschismus zur Gnade der späten Geburt, Hamburg 1993
Klundt, M.: Geschichtspolitik, Köln 2000
Kühnl, R.: Streit ums Geschichtsbild, Köln 1987
Mecklenburg, J., Wippermann, W.: 'Roter Holocaust'? Kritik des Schwarzbuchs des Kommunismus, Hamburg 1998
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