zur Materialienseite

Materialien zu Fortbildungen der SPSH: "Feminismus" in Juli 2000, Beitrag von Renate Schumak

 

Feministische Theorie in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts –Rund um den "Butler-Boom"

(Zu dem Vortrag gehören Wandpapers, die die Themen "Frauenstudien an deutschen Universitäten", "Menschenrechte", "Frauenarbeit in den Maquiladoras", "Biotech" und "Queer" darstellen)

Vorrede
1."Von der Frauenfrage in den Wissenschaften zur Frage nach der Wissenschaft im Feminismus" – kritische Überprüfung der feministischen
2. Die Sex-Gender-Debatte
3. Die Theorie Judith Butlers
4. Die Butler-Rezeption: begeisterte Zustimmung, heftige Ablehnung und jede Menge Veröffentlichungen
4.1. Die theorie-interne Diskussion:
4.2. Die kritisch-zurückweisenden Rezeptionslinien
4.2.1. Die Frage nach dem Subjekt
4.2.2. Die soziale Frage
4.2.3. Die Frage nach dem Körper und nach der Natur
4.3. Die begeisterte Aufnahme ihrer Heterosexismus-Kritik und die queer theory
Anmerkungen
Kommentierte Literaturliste

Vorrede

Ich möchte euch mit diesem Referat einen Einblick in einige theoretische Auseinandersetzungen des letzten Jahrzehnts und ihre politische Implikationen geben – daran ist zu erkennen,


Zu meiner Gliederung:

Man kann die 90er Jahre in der Theorie als ein Jahrzehnt der Auseinandersetzung um den feministischen Poststrukturalismus beschreiben, die eng mit dem Namen Judith Butler verknüpft ist – einige Autorinnen sprechen zurecht vom "Butler-Boom" (Z.B. Annuß, del Mar Castro Verde; den besten Überblick liefern Benhabib u.a.1992, Argument 216 und Knapp 2000). Auf die Darstellung ihrer Theorie, die Einbettung in vorangegangene feministische Diskussionen und auf einige wesentliche Rezeptionslinien besonders hier in Deutschland wird sich mein Referat beschränken.

Es besteht die Gefahr, sich in abstrakter Theorie zu verlieren: Teile der Diskussion sind ausgesprochen akademisch im schlechten Sinn (damit meine ich, dass ich mich, obwohl ich ja nun alles andere als theoriefeindlich bin, doch hin und wieder gefragt habe: und wozu soll das alles gut sein, außer um akademische Bücher zu füllen???), aber dennoch kann man von dieser Theoriediskussion aus auf einige wichtige feministische Politikfelder gelangen, die sowohl von der theoretischen Auseinandersetzung inspiriert sind, als auch andersherum den politischen Hintergrund für einige der akademischen Kontroversen abgeben.

Mein Kriterium für eine "gute Theorie" beschreibe ich hier mit Nancy Fraser, die ihre Formulierung wiederum von Marx hat: es soll gehen um die "Selbstverständigung der Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche" (1992, S.174)

Einige dieser Politikfelder habe ich ausschnitthaft mit den Wandpapers vorgestellt (die Auswahl ergibt sich sowohl aus den Diskussionen in der Butler-Rezeption als auch aus meinen persönlichen Präferenzen). Sie sollen als praktische Bezugspunkte uns in der Diskussion und mich im Referat gewissermaßen erden. Diese sind:


Von der "unglücklichen Ehe zwischen Feminismus und Marxismus" zum "prekären Bündnis von Feminismus und Postmoderne"

Entgegen meiner eigenen Erwartung zu Beginn meiner Einarbeitung in das Thema werde ich in diesem Referat Frigga Haugs Arbeiten nicht erwähnen: sie stehen in den hier von mir referierten Diskussionen merkwürdig am Rand (zitiert wird höchstens mal in einer Fußnote der Sexualisierungsband). Warum das so ist, darüber kann ich nur Vermutungen anstellen. Ich denke, der Knackpunkt – neben den auch in feministischen Texten verbreiteten Zitierungskartellen - ist Friggas sozialistische Position. Nicht nur, dass das Verhältnis Feminismus – Marxismus von Anfang an gelinde gesagt ein widersprüchliches war, hinzukommt, dass mit dem Zusammenbruch des real-existierenden Sozialismus sich an Marx orientierende TheoretikerInnen völlig aus der Mode gekommen sind.

In den theoretischen Texten im besonderen spielt der Kategorisierungsversuch feministischer Erkenntnistheorien von Harding 1990 eine gewisse Rolle: sie unterscheidet einen feministischen Empirismus (der das moderne wissenschaftstheoretische Gebäude übernimmt) , das feministische Standpunktdenken (das Feministinnen meint, die sich auf Hegel und Marx beziehen, in Nordamerika v.a. Nancy Hartsock, Hilary Rose, Dorothy Smith) und den feministischen Postmodernismus (22-28). Ihre Kritik am Standpunktdenken, die keineswegs aburteilend ist und sich nicht auf die marxistische Fundierung, sondern auf die erkenntnistheoretische Privilegierung des Standpunkts von Frauen bezieht (S.151), wird auch heute noch hin und wieder zitiert (z.B. Nagl-Docekal 2000) und damit ist die Thematik abgehakt und frau muss nicht genauer hingucken. Bleibt der Streit zwischen "modernen" und "postmodernen" Feministinnen; von diesem Streit in die Zange genommen, werden sozialistische Denkerinnen schlicht übergangen. Hardings Kategorisierungsversuch ist deswegen von so großer Bedeutung, weil er der einzige zu sein scheint, den frau finden kann (sh. auch Weber 2000).

Seyla Benhabibs Einleitung zu ihrem Aufsatz "Feminismus und Postmoderne. Ein prekäres Bündnis" liest sich die feministische Abkehr vom Marxismus so: "Vor etwa zehn Jahren stand eine Frage im Mittelpunkt des feministischen Interesses, nämlich die Frage, ob Marxismus und Feminismus vereinbar sind oder ob dieses Bündnis nur in einer "unglücklichen Ehe" enden kann. Die feministischen Theoretikerinnen hatten damals an den Erfahrungen der Neuen Linken teilgehabt und waren erst nach ihrem Engagement in den verschiedenen Spielarten der marxistischen Theorie des 20. Jahrhunderts zur Frauenbewegung gestoßen. Heute, da sich die marxistische Theorie weltweit im Rückzug befindet, konzentrieren sich die Bemühungen der Feministinnen nicht mehr darauf, diese unglückliche Verbindung zu retten. Statt dessen gibt es eine neue Allianz oder Mesalliance – je nach der Perspektive, die man einnimmt -, die sich als verführerischer erwiesen hat" (S.9; mit der neuen Allianz ist eben die Postmoderne gemeint).5 zurück

 

1. "Von der Frauenfrage in den Wissenschaften zur Frage nach der Wissenschaft im Feminismus" – kritische Überprüfung der feministischen Grundkategorien

Butlers Konzept baut im Kern auf einer Kritik auf: der Kritik an den "essentialistischen" Kategorien, wie "Frau", "Geschlecht" oder eben "Sex" und "Gender", auf denen die Bewegung aufgebaut hat, und die ihrerseits in Theorie und Praxis zu gravierenden Ausschlüssen führten. Der Reihe nach:

Essentialistisch bedeutet, dass ein unveränderlicher gemeinsamer Wesenskern hervorgehoben wird, der das Subjekt konstituiert, das die Bewegung ausmacht: die Frau. (Denken wir an die praktischen Parolen der Frauenbewegung: Gemeinsam sind wir stärker, Solidarität unter Frauen, Frauenforschung als Forschung von Frauen über Frauen mit Frauen etc.) Aber was macht die Frau aus? Unterscheidet sie etwas Substanzielles vom Mann, und was soll das sein? Aber es geht nicht nur um die Unterschiedlichkeit vom Mann, auch die so propagierte Gemeinsamkeit unter Frauen stieß nach der ersten Aufbruchstimmung in der neuen Frauenbewegung auf Grenzen. Was ist mit den Unterschieden? Kritik von Frauen aus dem Süden und schwarzen Frauen in Nordamerika an der westlichen Frauenbewegung lief darauf hinaus, dass "die Frau" nichts anderes ist als die weiße Mittelstandsfrau der westlichen Metropolen; der Feminismus selbst bekommt aus dieser Perspektive ein koloniales, wenn nicht gar rassistisches Antlitz. Kritik von lesbischen Frauen lief darauf hinaus, dass "die Frau" nichts anderes ist als heterosexuell, der Feminismus bekommt aus dieser Perspektive ein heterosexistisches Antlitz.

Butlers Theorie versucht eine Antwort auf diesen praktischen Kritiken zu geben (in der Literatur über sie ist interessant, dass selten beide Stoßrichtungen ihrer Theorie angeführt werden: entweder wird die anti-rassistische nicht erwähnt oder die anti-heterosexistische; entsprechend entfällt dann jeweils die Auseinandersetzung mit Rassismus oder Heterosexismus).

Sie tut dies in höchst theoretischer Weise (in Anknüpfung an eine bestimmte Lesart von Foucault und Derrida), indem sie die Kategorien Sex und Gender ihrerseits dekonstruiert. Das werde ich jetzt kurz skizzieren, indem ich mit dem anfange, was Butler kritisiert: Das Sex-Gender-System. zurück

 

2. Die Sex-Gender-Debatte

Also: Was meint Sex?, was meint Gender?

Zum letzteren: "Gender" ist im englischen wörtlich die Bezeichnung für das grammatikalische Geschlecht, im deutschen entsprechend "Genus" (falls das deutsch ist). Daher ergeben sich in der Übersetzung oftmals Schwierigkeiten: übersetzt wird bzw. wurde "gender" meist mit "soziales" oder "symbolisches Geschlecht", im Gegensatz zum "biologischen Geschlecht" "sex". Noch zu Anfang der 90er Jahre finden sich in entsprechenden Artikel immer ausführliche Anmerkungen der Übersetzerinnen; ab Mitte der 90er scheint das nicht mehr nötig zu sein: der englische Terminus wird übernommen, d.h. es wird vorausgesetzt, dass alle wissen worums geht. Ich werde das hier jetzt nicht tun.

Der Ausdruck "Gender" wurde zuerst von einem englischen Psychoanalytiker (Robert Stoller 1968) verwendet, dann schnell von Feministinnen aufgegriffen und in seiner Bedeutung erweitert. Es geht darum "Sex" von "Gender" zu trennen: Sex als biologisches Geschlecht markiert die körperlich-biologischen Unterschiede zwischen Frauen und Männer (in der Anatomie etc.). Gender markiert den sozialen Unterschied zwischen den Männern und Frauen, der sozial konstituiert (und über die Sozialisation erworben ist), aber eigentlich nichts mit den biologischen Unterschieden zu tun hat, sondern nur als "quasi-natürlich" wahrgenommen wird. Gender meint also: "die individuellen, kulturellen und institutionellen Formen, mit denen den biologischen Geschlechtsunterschieden in einem spezifischen Kontext und historischen Zeitraum gesellschaftliche Bedeutung verliehen wird" (McIntosh, S. 859). Insofern ist diese Unterscheidung für Feministinnen äußerst nützlich (gewesen), lassen sich doch mit dieser Unterscheidung biologistische Argumente gleich welcher Art zur Diskriminierung von Frauen zurückweisen. In diesem Sinne ist diese begriffliche Unterscheidung die Voraussetzung für eine Definition des Feminismus, wie sie z.B. Hertha Nagl-Docekal trifft: Feminismus wende sich gegen jede Form der Benachteiligung aufgrund der Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht (S. 9). In einer utopischen Perspektive (also für das, was Feministinnen sich wünschen) wäre die Unterscheidung allerdings nutzlos, jetzt wieder mit Nagl-Docekal, denn: "wird die Unterscheidung von "sex" und "gender" ernsthaft durchdacht, so resultiert die Forderung, dass "Mann" und "Frau" künftig keine Kategorien der sozialen Ordnung mehr bilden sollten" (51) Die Unterscheidung zwischen "sex" und "gender" steht also in einer konsequent anti-biologistischen Kritik- und Forschungs- und Politiktradition des Feminismus (und damit allerdings im Gegensatz zu einigen radikal-feministischen Positionen der 70er Jahre).

Was kann man bloß dagegen haben? Das Problem liegt im Detail: die oben skizzierte Auffassung von "sex" und "gender" geht von allgemeinen, historisch nicht sonderlich veränderbaren biologischen Geschlechtsunterschieden aus: es gibt Frauen und es gibt Männer, und was sie biologisch sind, steht außerhalb der Geschichte (im übrigen auch, dass es nur diese beiden Formen gibt, und nichts anderes).

Historische Forschung allerdings hat uns (auch hier schon, auf den Fortbildungsveranstaltungen der SPSH) eines besseren belehrt. Beispielhaft (und auch in fast jeder Publikation zitiert) verweise ich auf Thomas Laqueur, der nachgewiesen hat, dass die Vorstellung von zwei getrennten Geschlechter, zwei biologisch völlig unterschiedlichen Geschlechtswesen, eine Konstruktion des 18. Jahrhunderts ist (Wer bei der letzten Fortbildung dabei war, erinnert sich bestimmt an Christians Referat zu seinem Buch "Auf den Leib geschrieben").

Das heißt nun aber: die biologische Fundierung der oben genannten sex/gender Position ist selbst ein historisches Phänomen. Sie enthält typisch westlich neuzeitliche Prämissen: die Vorstellung eines materiellen Selbst, das in den unveränderlichen biologischen Gegebenheiten seinen Grund findet (hierzu ausführlich: Nicholson).

Hieraus ergibt sich nun eine "gender"-Position, die den "sex" selber, genauer das, was wir unter "sex" verstehen können, selbst noch kulturell geprägt sieht, in der Theoriesprache also "sex" dem "gender" zurechnet. Zu den Feministinnen, die diese Position vertreten (noch in den 80ern und vor Butler) gehören u.a. Linda Scott, Linda Nicholson und auch Nancy Fraser. Dies sind diejenigen, die sich früh mit einer postmodernen Position auseinandergesetzt haben (wenn sie auch nicht alle dieselbe Position vertreten).

Warum dies wichtig sein könnte, zeigt Nicholson an einigen Beispielen: sie zeigt, dass diejenigen Feministinnen, die zwar einen biologischen Determinismus zurückweisen, aber an den ahistorischen Gegebenheiten der Zweigeschlechtlichkeit festhalten, selbst im Rahmen von Theorien der sozialen Konstitution der relevanten Geschlechterunterschiede noch zu Positionen gelangen, die Nicholson "biologisch fundiert" nennt; die also ihre Basis nach wie vor in den biologischen Unterschieden selbst haben. Dazu gehören ihrer Ansicht nach z.B. Carol Gilligan (bei der sich "weibliche Moral" aus der Sozialisation von Frauen und ihrer Zuständigkeit für die Reproduktion ergibt) oder Janice Raymond . Deren Argumentation will ich hier kurz skizzieren, weil sie glaube ich, heute noch im Rahmen der Diskussion um Frauengruppen und Transsexuelle fortbesteht: Raymond sagt, dass Transsexuelle keine Frauen sind und sein können, da sie mit männlichen Geschlechtsorganen geboren sind; Frauen aber werden zu Frauen deswegen, weil ihre Umwelt (wieder überkulturell) auf sie auf Frauen, d.h. menschliche Organismen mit weiblichen Geschlechtsorganen, reagiert. Transsexuelle Männer, auch Männer, die Frauen sein wollen, können deswegen keine Frauen sein, ihnen fehlt das Gemeinsame der weiblichen Erfahrung. Hier wird also der Geschlechtsunterschied nicht direkt im Vorhandensein bestimmter Organe begründet, sondern indirekt mit der Reaktion der anderen auf diese Organe. Historisch könnte sich das zwar theoretisch ändern, dennoch ist es im Moment eine universelle Geschichte.

Die biologische Fundierung bzw. die Ausblendung der kulturellen Hergestelltheit/Geformtheit der Körper führt also zu angeblich universell gültigen Setzungen, die letztendlich immer nur die Position der Theoretikerin unzulänglich verallgemeinern: das, was uns "durch und durch" geht (Nicholson), das, was uns natürlich erscheint, wird dadurch normativ festgeschrieben für andere und verhindert vielleicht weitergehende Veränderungsperspektiven und –strategien.

Nicholson selber (wie auch Fraser) plädiert für ein pragmatisches Vorgehen in dieser Frage, eine Art Patchwork-Theorie, in der Gleichheit und Unterschiede zwischen Frauen nicht als abstrakt-absolute Definitionen gelten, sondern eher wie die Familienähnlichkeiten bei Wittgenstein verstanden werden sollten, also je nach Kontext ihre verschiedenen Gehalte hervorgehoben sind.

Zur Veranschaulichung ihrer Position wählt sie folgendes Bild: das Kippbild in der Wahrnehmungspsychologie, das einmal ein Krug ist, und einmal zwei Gesichter, die sich ansehen. Keine der beiden Gestalten ist falsch, beide Sichtweisen sind möglich, und so will sie auch die Gleichheit und Unterschiede zwischen Frauen verstanden wissen: es gibt Gemeinsamkeiten zwischen Frauen, die sie von Männern unterscheiden, es gibt aber gleichzeitig Unterschiede, die zur Gemeinsamkeit nicht einfach nur hinzuaddiert werden dürfen. zurück

 

3. Die Theorie Judith Butlers

Judith Butler radikalisiert diese Überlegungen. Sie knüpft dabei an Foucault an, insbesondere an "Der Wille zum Wissen" (das ist der erste Band von Sexualität und Wahrheit), und dabei an seine These, dass Macht produktiv ist. Das meint, dass Macht nicht nur einen negativen, unterdrückerischen Effekt hat, also dass sie etwas außerhalb der Macht liegendes (den Körper, die Sexualität, die Frau z.B.) in seiner Wesenheit unterdrückt, sondern dieses Andere durch den Diskurs erst herstellt.

Das heißt für die Geschlechterverhältnisse: auch der vermeintlich biologische, außerdiskursive Basis der Geschlechtertrennung, "sex" eben, ist ein Produkt des Diskurses. Es gibt nichts außerhalb des Diskurses, kein eigenständiges "Außen", keine "Natürlichkeit", auf die man vor oder jenseits des Diskurses zurückgreifen könnte. Mit anderen Worten: auch die Kritik steht nicht außerhalb oder jenseits des Diskurses, sondern immer schon innerhalb; nur von innen heraus kann kritisiert, in Butlers Worten (mit Derrida) "dekonstruiert" werden.

Im Unterschied zu Foucault allerdings versteht Butler den Diskurs nicht als vielstimmig, sondern denkt sich die produktive Macht als von einem Gesetz bestimmt: der zwangsheterosexuellen Matrix. Foucault selbst wandte sich explizit und bestimmt gegen eine Vorstellung, die die Macht von einem herrschenden Zentrum aus bestimmen will (wie die Macht des absoluten Herrschers), sondern bestand auf der Dezentralität der produktiven Diskurse. An dieser Stelle folgt Butler ihm gerade nicht, indem sie die Geschlechterverhältnisse auf ein zentrales Gesetz zurückführt, auf einen bestimmenden Diskurs, aus dem kein Entkommen ist.

Die zwangsheterosexuelle Matrix zeichnet sich dadurch aus, dass sie Geschlecht, Macht und Begehren verknüpft. Es "gibt" in ihr nur zwei Geschlechter – Mann und Frau – die durch das Begehren (die Sexualität) aufeinander bezogen sind. Das heterosexuelle Paar, indem der Mann die bestimmende Position hat, wäre, wie ich das verstanden habe, das Leitbild des Diskurses. Subjektivität als solche wird durch den Diskurs immer schon zweigeschlechtlich konstruiert. Die kategoriale Zweiheit oder die "Binarität der Kategorien", dass es nur ein entweder oder gibt, enthält auch immer schon ein Über- und Unterordnungsverhältnis: des Mannes über die Frau, der Kultur über die Natur, des Subjekts über das Objekt. (Diese Kritik der binären Kategorien hat insbesondere auch Derrida formuliert.)

Die Dekonstruktion führt zu folgendem Ergebnis:

"Hinter den Äußerungen der Geschlechtsidentität (gender) liegt keine geschlechtlich bestimmte Identität (gender identity). Vielmehr wird diese Identität gerade performativ durch diese "Äußerungen" konstituiert, die angeblich ihr Resultat sind." Und an anderer Stelle wird deutlich, dass für Butler weitergehend jede Art von Identität, ja der Begriff des Subjektes selbst, auf der Geschlechterdifferenz beruht, und damit in Frage zu stellen ist: "Da ... die Identität durch die stabilisierenden Konzepte sex, gender und sexuality abgesichert wird, sieht sich ... der Begriff der "Person" selbst in Frage gestellt, sobald in der Kultur inkohärente oder diskontiniuierliche geschlechtlich bestimmte Wesen auftauchen, die Personen zu sein scheinen, ohne den ... Geschlechtern-Normen kultureller Intelligibilität zu entsprechen, durch die die Personen definiert sind"

Zusammengefasst: Butler kritisiert damit die Vorstellung einer außerdiskursiven Natur, eines außerdiskursiven biologischen Geschlechts, eines außerdiskursiven Subjekts. All dieses wird durch den Diskurs erst produziert; und diese Produktion führt zu Ausschließungen, ist überhaupt die Basis von Macht. Daher könne sich auch die Frauenbewegung nicht auf diese Kategorien umstandslos beziehen, sie bliebe damit nämlich im Diskurs stecken und wiederhole seine Ausgrenzungen. Insbesondere die Zwangsheterosexualität des Diskurses wird damit immer wieder mithergestellt. Dieser letzte Aspekt ist es, den Butler zu der Theoretikerin der queer theory macht (sh. unten).

Was bleibt dann noch in kritischer Perspektive:

 

4. Die Butler-Rezeption: begeisterte Zustimmung, heftige Ablehnung und jede Menge Veröffentlichungen

Die Butler-Rezeption hat verschiedene Schwerpunkte, die verschiedene Stoßrichtungen ihres Ansatzes aufgreifen, und mit denen zum Teil sehr heftige Kontroversen verbunden sind:

 

4.1. Die theorie-interne Diskussion:

Es gibt "theorie-interne", wie ich mal sagen möchte, Auseinandersetzungen, in denen ihr philosophischer Ansatz, v.a. ihre Anknüpfungen an Foucault einer genaueren Prüfung unterzogen werden (z.B. bei Lorey; offensichtlich hat Butlers Ansatz zu so einigen Dissertationen geführt). Ihr Anknüpfen an Foucault, der auch vor Butler für die feministische Theorie kein Unbekannter war und ja auch sonst in vieler Munde ist, erleichterte sicher die Rezeption. Allerdings hinterlassen Teile dieser Diskussion für eine außer-universitäre Beobachterin wie mich manchmal eher den Eindruck von "narzisstischer Selbstbespiegelung" als von dem Versuch der "Selbstverständigung über die Zeit und ihre Kämpfe". Dass solch ein Eindruck auch viele Frauen an den Universitäten selbst beschleicht (nicht nur, was die Butler-Theorie betrifft), dafür sei hier stellvertretend Ingrid Galster zitiert, von der ich auch das mit dem Narzissmus habe: "Wir müssen uns wohl wirklich davor hüten, dass feministische Veranstaltungen nicht unserer narzisstischen Selbstinszenierung dienen und dass der Feminismus nicht völlig zum reinen Stellenbeschaffungsprogramm und zur akademischen Profilierungsnische degeneriert, die er de facto vielfach ist" (S.258)

So stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage nach der Verortung feministischer Theorie an den deutschen Universitäten. Evelin Annuß hat darauf hingewiesen, dass sich die bundesdeutsche Butler-Rezeption und insbesondere die heftigen theoretischen Kontroversen, die oft als ein Generationen-Problem erscheinen (die Jungen als begeisterte Butler-Fans, die älteren als Butler-Feindinnen), nicht nur inhaltlich erklären lassen, sondern – im Sinne Bourdieus - auch durch die inner-institutionellen Mechanismen an den Universitäten, bei denen es auch um eine Konkurrenz um Stellen in den inzwischen immerhin existierenden Frauenforschungseinrichtungen geht.

"Mit Blick auf die heftige Auseinandersetzung zwischen einigen queer heretics und etablierten Frauen- bzw. Geschlechterforscherinnen wäre möglicherweise der Versuch angebracht, angesichts der marktmäßigen Eigenlogik des universitären Feldes ... eine Soziologie der Geschlechterforschung als Wissenschaftskritik des eigenen Feldes zu formulieren. ... Die "Modernisierung" (der Frauen- und Geschlechterforschung), die immer wieder als Generationenkonflikt erscheint, ließe sich nicht länger als nur theoretische und politische Auseinandersetzung um unterschiedliche Erfahrungshorizonte verstehen, sondern analog zu dem, was in allen anderen Bereichen unserer alma mater von jeher passiert: die Auseinandersetzung ums universitäre wie ums kulturelle Kapital‚ im symbolischen Kampf aller gegen alle‘ (Bourdieu)." zurück

 

4.2. Die kritisch-zurückweisenden Rezeptionslinien

Butler, als exponierte und in ihrem Stil durchaus auch provokante Vertreterin des Dekonstruktivismus oder auch der Postmoderne (auch wenn sie selbst sich nicht als Postmoderne bezeichnet, sondern gegen die Verwendung des Begriffs bei ihren Gegnerinnen polemisiert), fordert die Kritik all derjenigen heraus, die der "Postmoderne" sowieso skeptisch gegenüber stehen.

Die Auseinandersetzungen – von beiden Seiten – werden zum Teil sehr heftig und in polemisierender Weise geführt, indem die Position der jeweils anderen Seite zugespitzt und banalisiert wird – frau schlägt auf die Strohfrau ein. Das liest sich zum Teil recht lustig, ist aber andererseits auch schade, weil eine sachliche und genaue Diskussion der zugrundeliegenden Fragen dabei oft auf der Strecke bleibt. Interessanter- aber nicht überraschenderweise beklagen die Diskutandinnen diesen Stil gerne bei den Vertreterinnen des jeweils anderen Lagers. Die Kritiklinien lassen sich um verschiedene Fragen gruppieren, die Butlers Theorie aufwirft:

 

4.2.1. Die Frage nach dem Subjekt

Das sind zum einen diejenigen, die in der Tradition der kritischen Theorie stehen und einen universalistischen Moralbegriff vertreten (z.B. Benhabib, Nagl-Docekal), allgemeiner, die den Tod des Subjekts nicht feiern wollen. Ihre Befürchtungen lassen sich in etwa so beschreiben: der Dekonstruktivismus nehme uns die Möglichkeit, Menschen als Subjekte zu denken, die handlungsfähig sind, die sich bewusst zu ihren Lebensbedingungen verhalten können. Außerdem nehme er uns die Möglichkeit, uns auf grundlegende Gerechtigkeitskonzepte zu berufen, wenn wir den Ausschluss, die Diskriminierung von Frauen, aber auch anderen Personengruppen an den Pranger stellen wollen.

Wenn z.B. die Menschenrechte grundlegend in die heterosexuelle Matrix eingebettet sind, also selbst ein Konzept, das die Macht enthält, kann frau sich dann noch darauf berufen? Was heißt "Menschenrechte auch für Frauen"? Ute Gerhard z.B. diskutiert Butler im Zusammenhang mit den internationalen UN-Weltfrauenkonferenzen und deren Versuch, die Menschenrechte neu zu definieren, sie zu erweitern. Sie zitiert aus der Resolution der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking:

"Gewalt gegen Frauen bedeutet sowohl eine Verletzung als auch eine Beeinträchtigung bzw. Verhinderung der Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten der Frau. Unter Berücksichtigung der ... Arbeit der Sonderberichterstatterin sind geschlechtsspezifische Gewalt, wie beispielsweise Misshandlung und andere Formen der Gewalt in der Familie, sexueller Missbrauch, sexuelle Versklavung und internationaler Frauen- und Kinderhandel ... (usf) mit der Würde und dem Wert der menschlichen Person unvereinbar..."

 Gerhard plädiert dafür, die Frage nach den Menschenrechten nicht als immer schon machtdurchzogene beiseite zu legen, sondern statt dessen, sie weiterzuentwickeln:

"Der Motor der Menschenrechtskampagne "putting these issues squarely on the world’s doorsteps" ist somit ein dynamisches und partizipatorisches Menschenrechtskonzept, das sich insbesondere in Anbetracht der kulturellen Differenzen zu bewähren hat. Das Ziel bleibt, die androzentristischen Vorzeichen aufzuheben, die Menschenrechte neu zu definieren und die spezifischen Erfahrungen von Frauen in die Praxis des Menschenrechtsdiskurses einzubringen..." zurück

 

4.2.2. Die soziale Frage

Ein anderer Kritikstrang ist derjenige, der auf die Vernachlässigung, um nicht zu sagen strikte Ausblendung historischer und v.a. sozialer Fragen in Butlers Theorie hinweist. Dies ist umso schwerwiegender als im Zeichen der Globalisierung und Neoliberalismus weltweit von einer erneuten "Feminisierung der Armut" gesprochen werden kann.

Stellvertretend zitiere ich Rosemary Hennessy (1999), die den kulturkritischen Theorien (uns sie nennt Butler explizit) eine Nähe zum Neoliberalismus unterstellt:

"Feministinnen haben zurecht die Unterdrückungsfunktionen vieler kultureller Strukturen kritisiert. Forderungen nach einer alternativen Logik der Flexibilität macht jedoch weder die sozialen Grenzen durchlässig, noch verschwinden die Ausgrenzungen. Weil diese "spätfeministischen" Vorstellungen ... die soziale Realität mit der Kultur (oder einem Diskurs der Repräsentation) gleichsetzen, können sie sich gesellschaftlichen Wandel nur als Überschreiten kultureller Kategorien (durch das Parodieren oder mit neuen Zeichen Besetzen von Identitäten) vorstellen. In dieser Hinsicht, sind diese Theorien nicht nur begrenzt, schlimmer noch, sie sind kompatibel mit Bewusstseinsformen, die der Neoliberalismus ermutigt." (284) Sie fährt fort: "In dieser Hinsicht erinnert das spätfeministische Grenzüberschreiten an die neoliberale Ethik der persönlichen Verantwortung. Nussbaum zufolge "ist so eine parodistische Performance in Ordnung, wenn du eine angesehene fest angestellte Professorin an einer liberalen Universität bist". Es leistet wenig in Bezug auf die materiellen Bedingungen der Unterdrückten, deren Leben sich in Grenzen abspielt, die meist gänzlich unflexibel sind" (ebd).

Hennessy stellt der Theorie eine Praxis gegenüber, nämlich diejenige von Frauen in Mexiko, die sich gegen die internationalen Konzerne in den Maquiladoras organisieren (müssen), dem Grenzgebiet zwischen USA und Mexico, das seit 1965 Freihandelszone ist, seit 1994 mit Unterzeichnung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA noch durchlässiger für Konzerninvestitionen und Exporte, nicht allerdings für mexikanische ImmigrantInnen. zurück

 

4.2.3. Die Frage nach dem Körper und nach der Natur

Weitere Kritikstränge beschäftigen sich mit der Frage nach dem Körper in Butlers Theorie. Einige Feministinnen kritisieren heftig, dass Butler in ihrer Konzeption des Körpers als diskursiv hergestelltem die Themen Schwangerschaft und Geburt, generell Mutterschaft, unterschlägt. Am besten kommt dies im Titel von Barbara Dudens Replik zum Ausdruck: "Die Frau ohne Unterleib". Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass ihr Ansatz selbst quasi unreflektiert historische Entwicklungen widerspiegelt, nämlich die der neuen medizin- und gentechnischen Möglichkeiten des Eingreifens und Herstellens von Körpern. Stellvertretend folgendes Zitat von Hilge Landweer: "Der ... beschworene Aufbruch aus der Zweigeschlechtlichkeit ist nicht etwa Ausdruck eines "epistemologischen Bruches", der gar durch den Feminismus herbeigeführt worden wäre, sonder – beinahe möchte ich sagen im Gegenteil – Ausdruck eines Machbarkeitswahns, der Geburt, Geschlecht und Tod überwinden zu können glaubt – und nicht nur kulturell modifizieren will. Das Phänomen der Transsexualität ist nicht zuletzt Effekt der technischen Möglichkeiten der modernen Medizin, auch wenn es nicht darauf reduziert werden kann." (S.164) An dieser Stelle stellt sich generell die praktische und politische Frage nach der Einschätzung der neuen Technologien, insbesondere im Feld der Reproduktion. Ute Bertrand stellt die Frage: "Was leistet der Konstruktivismus für eine Kritik am Gen-Modell und dem Modell des Menschen als sich selbst steuernden, informationsverarbeitenden System? Wie können sich Frauen (...) der damit einhergehenden Verklausulierung und Inbesitznahme ihres Leibes entziehen?" Ihre Antworten: "Sicherlich erleichtert der konstruktivistische Ansatz, wissenschaftliche Wahrheiten zu relativieren und den Existenzanspruch der eigenen Wahrheit zu verteidigen." Aber: "Konstruktivistische Argumente können der fortschreitenden Technisierung des Lebendigen in die Hände spielen. Fällt nämlich der Unterscheidung zwischen Natur und Kultur, steht der Gleichsetzung von Mensch und Maschine eine Grenze weniger im Weg: beides ist veränderbar, gestaltbar, das heißt, es kann manipuliert, vervielfältigt und ausgebeutet werden." zurück

 

4.3. Die begeisterte Aufnahme ihrer Heterosexismus-Kritik und die queer theory

Die größte positive Bedeutung hat Butlers Theorie mit Sicherheit für die Frage nach der Sexualität und ihrer Bedeutung für die gesellschaftliche Ordnung. Nicht nur, dass sie selbst offen lesbisch ist, der Zusammenhang von Geschlecht und Sexualität, die Kritik der heterosexuellen Normierung ist der wesentliche Kern ihrer Theorie. Butler liefert also "endlich" eine Theorie, die dem politischen Engagement von Lesben und auch Schwulen, der Kritik des Heterosexismus eine philosophische Begründung liefert. Nicht umsonst sind die lesbian bzw. queer politics auch ihr eigener politisch-praktischer Hintergrund. Zudem hat ihr Vorschlag von "Parodie als Politik", der sowohl begeisterte Zustimmung als auch heftige Ablehnung hervorgerufen hat, die Frage nach der politischen Bedeutung kultureller Kämpfe und Veränderungen auf die Tagesordnung gesetzt.

Was meint nun genau "queer"? Ich lasse Corinna Genschel ausführlich zu Wort kommen:

" Queer, traditionell ein Schimpfwort gegen diejenigen, die den Normen geschlechtlicher und sexueller Identitäten nicht entsprechen, heißt übersetzt "homosexuell" genauso wie "gefälscht", "sonderbar" ebenso wie "fragwürdig". Als positive Eigenbezeichnung im Bewegungskontext der vergangenen Jahre, die von Teilen lesbischer und schwuler Theoriebildung übernommen wurden, soll der Begriff die common sense Annahme von Homosexualität als Ableitung vom Original der Heterosexualität radikal verkehren, um die natürliche Ordnung der Dinge, den Effekt des Natürlichen der (Hetero-)Sexualität zu verpfuschen. Es drückt einen selbstbewussten Gestus des " Na und – ich will auch nicht so sein wie ihr" aus. Gleichzeitig ist es ein Versuch, der realen Vielfalt der Bewegungen und der Ausgrenzungsmechanismen Rechnung zu tragen. Queer ist deshalb auch nicht primär als Gegensatz zu heterosexuell oder als Synonym von lesbisch-schwul zu verstehen. Es ist der politische Dissenz gegenüber der Normgesellschaft, die durch Benennung homogenisiert und entnennt, ableitet, marginalisiert und ausgrenzt, der – jenseits von Identitätskonstrukten – zum verbindenden Element wird. Es ist eine Bewegung aus dem räumlich und symbolischen "Ghetto" schwul-lesbischer (Identitäts-)Politik heraus. Von dem Einfordern eines Rechts auf Öffentlichkeit über neue Politikformen bis hin zur Infragestellung eigener Leerstellen bietet queer das Angebot, das Sexuelle anders zu denken."

Die queer theory ist in den USA entstanden, zusammen mit der Bewegung gegen das aggressive, reaktionäre Klima im Zusammenhang mit der Aids-Krise in den 80er Jahren, das überdeutlich machte: Sexualität ist ein Politikum und wird zum Politikmachen eingesetzt.

Dabei geht es nicht darum, die eigene Identität zu behaupten, sondern im Gegenteil, die Produktion von Identität, die Mechanismen der Klassifizierung zu dekonstruieren, die zu Ausschließung führen.

"So wird in Queer Theory den Strategien, Situationen, Orten und Menschen (als Individuen und Kollektive) besondere Beachtung geschenkt, die herrschenden Definitionen und Klassifikationen nicht entsprechen. Cross-Identifikationen – lesbische butch/femme Kultur, Travestie oder "Geschlechterverwirrungen" bei Shakespeare, um nur einiges zu nennen – (...) dienen dazu, die inhärente Instabilität von Normalität, die ständigen Übertretungen, aber auch kulturellen Anstrengungen, dies durch Einpassen ins Schema unsichtbar zu machen, aufzuzeigen."

Ein Beispiel liefert Sabine Hark in ihrem Text "Queer Interventionen", der 1993 die queer theory in Deutschland quasi in den feministischen Diskurs einführte:

"Während eines Aufenthalts in San Francisco besuchte ich ein Konzert der lesbischen Musikerin Phranc, das als "Neil-Diamond-Revue" angekündigt war. Mit Neil Diamond assoziierte ich bis dahin vor allem heterosexuelle Liebesschnulzen und maskuline Lagerfeuerromantik, kurzum die verschmähte straight world. Doch was sollte das mit dem Auftritt "unserer" "I’m your All-American jewish lesbian folk singer Phranc" zu tun haben? Tatsächlich bestritt Phranc die erste Hälfte des Konzertes auch als "Phranc". Nach der Pause jedoch betrat Neil Diamond die Bühne und schwang zur wachsenden Begeisterung des fast ausnahmslos lesbischen Publikums Mikrophon und Hüften durch die Show. In einer hinreißenden drag performance riskierte Phranc den Griff zur Männlichkeit. Geschlecht und Sexualität taugten in dieser Vorstellung wenig als ansonsten verlässlich erscheinende Parameter zur Entschlüsselung kultureller Identitäts-codes, da Phranc gerade deren Ikonisierung zum Inhalt der Vorführung gemacht hatte. Wer "war" die Person auf der Bühne, die zunächst "weibliche" Repräsentationen bemüht hatte, um dann ihren Körper "als Mann" zu agieren? Wer flirtete da als was mit den Lesben (und wenigen Schwulen) im Publikum? Eine lesbische Frau? Ein heterosexueller Mann? Eine butch-Lesbe? Eine butch-queen? Phrancs Parodie agierte in dem zwar tendenziell unbewohnbar bemachten, dennoch vorhandenen kulturell-politischen Raum zwischen den Geschlechtern, der mit Teresa de Lauretis als space-off, d.h. als diejenigen Orte, die von den hegemonialen Repräsentationen (von Geschlecht und Sexualität) ausgelassen bzw. aktiv zum Schweigen gebracht wurden, verstanden werden kann. Die Parodie besetzt gleichsam den Raum zwischen den Geschlechtern, beleuchtet ihn und verschiebt dadurch die Grenzen zwischen hegemonialer Repräsentation und space-off. Darüber hinaus verdeutlicht die ironische Zitation, dass ein Geschlecht ein aktiver Modus ist, dass wir also nicht tun, was wir sind, sondern sind, was wir tun (Butler)."

 

Zum Abschluss

Ist Butlers Theorie jetzt eine "gute", im Sinne der anfangs angeführten Definition hinsichtlich der "Selbstverständigung einer Zeit über ihre Kämpfe und Wünsche"? zurück

 

Anmerkungen

1 Diese Formulierung ist eine us-amerikanische. "Die geläufige affirmative Verwendung des "Race"-Begriffs in den USA, der mit einer Kritk des "racism" einhergeht, muss vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte irritieren, die den politischen Charakter essenzialistischer Konstruktionen von "Rasse" auf grausame Weise offenkundig gemacht hat" (Becker-Schmidt/Knapp, 2000, S.120). Zu weiteren Besonderheiten der nordamerikanischen Debatten im Vergleich zu den deutschen sh. im selben Band S. 8/9; 106 und 113.

2 Frerichs/Steinrücke (Hg) (1997): Klasse, Geschlecht, Kultur. Köln; dies. (1997): Klasse und Geschlecht 1: Arbeit – Macht – Anerkennung – Interessen. Opladen; dies: (1997). Kochen – ein männliches Spiel? Die Küche als geschlechts- und klassenstrukturierter Raum. In Dölling/Krais (Hg) (1997): Ein alltägliches Spiel. Frankfurt: suhrkamp. Die beiden beziehen sich in ihren Forschungen stark auf Bourdieu; sie sind auch Herausgeberinnen verschiedener Texte von Bourdieu in Deutschland. In Dölling/Krais findet sich im übrigen auch ein längerer interessanter Aufsatz von Bourdieu selbst mit dem Titel "Die männliche Herrschaft".

3 Nach einem Buchtitel von 1981, herausgegeben von Lydia Sargent, zitiert nach Behabib 1992

4 Benhabib 1992

5 Im übrigen auch bei Ole Dreier (1999) in outlines

6 in: Benhabib u.a. 1992

7 Eine Kapitelüberschrift bei Harding 1990

8 Hier zeigt sich in der praktischen Argumentation ein grundsätzliches Problem, das Ute Gerhard das "Wolstone-Craft-Dilemma", nämlich das "Paradox, auf dem Recht der Gleichheit und gleichzeitig der Berücksichtigung und Anerkennung von Differenz zu bestehen" (Gerhard, 1998, S.138). "Recht der Gleichheit" meint hier die Forderung, als Geschlechtswesen Frau nicht gegenüber Männern diskriminiert zu werden; es meint also das Bestehen darauf, als Frau die gleichen Rechte wie Männer zu haben, kein defizitäres Wesen zu sein (z.B. "irratonal"). "Anerkennung von Differenz" meint, dass Frauen trotzdem darauf bestanden haben (und dies auch mussten), in ihrer Unterschiedlichkeit gegenüber Männern wahrgenommen und anerkannt zu werden – Unterschiedlichkeit in Hinblick auf Mutterschaft, geschlechtlicher Arbeitsteilung und Sozialisation z.B.. Paradox scheint nun, dass beides gleichzeitig oder abwechselnd eingeklagt wird.

9 Janice Raymond: (1979): The Transsexual Empire: The Making of the She-Male, Boston. Dies: (1987) Frauenfreundschaft. Philosophie der Zuneigung, München (im Original 1968)

10 ausführlich zu dieser Differenz: Lorey 1996

11 Butler 1991, S. 49, zitiert nach Becker-Schmidt S.88

12 ebd., S. 38

13 Theoretisch hat Butler hier die Theorie der performativen Akte von Austin eingearbeitet: Performative Akte sind solche Sprachakte, bei denen die Handlung mit dem Sprechen identisch ist; z.B. wenn der Bundeskanzler die Expo eröffnet, er tut dies allein dadurch, dass er sagt "hiermit eröffne ich die Expo". Lesenswert hierzu ist ihr Aufsatz "Für ein sorgfältiges Lesen" in Benhabib u.a. 1992. Die in der Theorie der Sprechakte meist nicht mitbedachte soziale Dimension dieser Akte hat Bourdieu herausgearbeitet, ich erinnere an mein Referat "Die Macht des Sprechers" bei einer der vorangegangenen Fortbildungen.

14 Professorin für Romanische Literaturwissenschaft an der Universität Eichstätt

15 Annuß 1996, S. 522

16 Eine kritische Darstellung solcher Diskussionsstrategien findet sich z.B. bei Weber 2000

17 Gerhard 2000. S. 20

18 Ein Begriff für den rasch ansteigenden Anteil von Frauen an der erwachsenen Armutsbevölkerung , sh. auch Frazer 1994, S.222ff

19 Sie zitiert hier Martha Nussbaum, 1999: "The Professor of Parody", in: The New Republic. 22.2., 37-45

20 Zu diesem Thema wäre es lohnenswert gewesen, sich mit einer weiteren US-amerikanischen Theoretikerin zu befassen, nämlich Donna Haraway, Biologin und Wissenschaftstheoretikerin, die für eine verstärkte feministische Auseinandersetzung mit den technologischen Entwicklungen plädiert. Ihre Texte, in USA schon Mitte der 80er vielfach diskutiert, wurden in Deutschland erst 1995 veröffentlicht, entsprechend fand eine ausführliche Rezeption auch erst in den letzten Jahren statt. Sie geht davon aus, dass die "Neue industrielle Revolution" der "Technosciences" (neue Informations- Kommunikations- und Biotechnologien) die traditionellen kulturellen Differenzen – zwischen Mensch und Tier, Organismus und Maschine, Materiellem um Immateriellen – tendenziell sprengen. Darin sieht sie auch Chancen für die Entwicklung neuer Formen von sozialen Verhältnissen, die Hierarchien und Identitätszwänge, speziell auch für Frauen unterlaufen. Sie fordert auf, sich diesen Entwicklungen zu stellen, einzugreifen, Verantwortung zu übernehmen. Auf der Suche nach neuen Mythen, Mythen vielfältiger Grenzüberschreitungen, ist ihr Leitbild ist der "Cyborg": ein Zwitterwesen, zwischen Mensch und Technik, Mann und Frau, ein Hybride, nicht zuordenbar, und deswegen die alten Grenzen sprengend. Obwohl für sie Natur, Körper, Sex wie bei Butler immer schon eine soziale Konstitutionsgeschichte hat, löst sie die Natur nicht im Diskurs auf; vielmehr plädiert sie für eine Vorstellung von "Ko-konstruktion", die den eigenständigen Einfluß der Materialistät der Körper auf soziale Konstitutionsprozesse hervorhebt. Ihre Schreibweise ist nicht nur wissenschaftlich, sondern mit Science-fiction und mythischen Elementen vermischt. Jedenfalls – schon in Anknüpfung an die letzte Fortbildung: schade, dass man nicht alles machen kann.

21 Ute Bertrand, 1994, S.124f

22 ebd. S. 125

23 ebd. S.127

24 Corinna Genschel, 1996, S. 526f

25 1987 wurde ACT UP, 1990 Queer Nation, 1992 die Lesbian Avengers gegründet; zum politischen Hintergrund ausführlich Genschel, 1996, S.527f

26 ebd. S. 530

27 Sabine Hark, 1993, S. 105 zurück

 

Literatur mit Kommentaren:

Vorbemerkung:

Die Länge der Literaturliste hat verschiedene Gründe, (allerdings nicht den, dass sie thematisch Anspruch auf Vollständigkeit erheben könnte – was die Vielzahl der Titel auf dem Markt betrifft, kann von einem Zurückgehen des Feminismus nicht die Rede sein):

- bei manchen Autorinnen habe ich Bücher aufgelistet, ohne sie gelesen zu haben (insbesondere bei Butler und Haraway; aber auch bei Duden, tatsächlich habe ich von Butler selbst ihre Aufsätze in Benhabib u.a. 1992 gelesen und mich sonst auf die Sekundärliteratur gestützt). Dennoch wollte ich die Bücher nennen.

- Ich habe bei einigen Veröffentlichungen Kommentare eingefügt, die die Texte aus meiner Sicht bewerten. Insbesondere bei Benhabib 1992 ist das sehr ausführlich geworden. Außerdem habe ich, soweit ich das aus Klappentexten etc. herausfinden konnte, zu einigen Autorinnen Informationen über ihre Person und Arbeitsschwerpunkte aufgeführt.

- Ich habe viele Aufsätze aus Sammelbänden und Zeitschriften herangezogen. Damit die Texte wiederzufinden sind, stehen sie hier, wie sich das gehört, unter den Autorinnen. Aber ich will die wichtigsten Sammelbände hier extra nennen:

Drei Hefte der beiträge zur feministischen theorie und praxis (Übrigens immer lesenswert, auch weil hier viele Wissenschaftlerinnen zu Wort kommen, die nicht an den Universitäten sind):

Diverse Argumenthefte, insbesondere:

Weitere für das Referat wichtige Sammelbände waren :

 

Annuß, Evelin (1996): Umbruch und Krise der Geschlechterforschung: Judith Butler als Symptom. In: Argument 216; Der Text ist eine recht gute und kritische Einführung; das ganze Heft zeigt verschiedene Dimensionen der Diskussion um Butlers Theorie.

Becker-Schmidt, Regina & Knapp, Gudrun-Axeli (2000): Feministische Theorien zur Einführung. Hamburg (Junius). Besonders Kapitel 2 und 3 jeweils von G.-A. Knapp: "Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlecht" und "Achsen der Differenz – Strukturen der Ungleichheit" sind wirklich eine sehr lesenswerte Einführung. Genauer behandelt werden ethnomethodologische Ansätze, J.Butler, D. Harraway und Iris Young.

Regina Becker-Schmidt, Jg. 1937, ist Professorin am Psychologischen Institut der Universität Hannover, ebenso wie Gudrun-Axeli Knapp, Jg 1944. Von letzterer weiß ich, dass sie dort am Fachbereich Geschichte, Philosophie und Sozialwissenschaften lehrt. Nach ihren Publikationen zu schließen verstehen sie sich hauptsächlich als Sozialwissenschaftlerinnen

Beier, Andrea (1999): Vom lesbischen Verhältnis zur Zweigeschlechtlichkeit. In: beiträge 52

Benhabib, Seyla; Butler, Judith ; Cornell, Drucilla; Fraser, Nancy: (1993): Der Streit um Differenz. Frankfurt/M: Fischer

Dieser Sammelband ist eine Auseinandersetzung der Autorinnen um den prostrukturalistischen Feminismus, genauer, wie Handlungsfähigkeit und Subjektivität, daran anschließend feministischer Politik und Veränderungsmöglichkeiten bis hin zur Möglichkeit utopischer Entwürfe, verstanden werden kann. Jede Autorin stellt zunächst ihre eigene Version in kritischer Abhebung der anderen vor; danach kommentiert jede noch einmal die Auseinandersetzung. Diese text-vermittelte direkte Kommunikation von VertreterInnen der verschiedenen theoretischen Lager ist eine ausgesprochene Seltenheit. Später werden einige Autorinnen zu dem Schluss kommen, dass man nicht mehr miteinander reden kann (z.B. Duden 1993)

Benhabib vertritt eine feministische Version der Habermas’schen Diskursethik (wie ja auch schon in "Selbst im Kontext") und knüpft damit an die Kritische Theorie deutscher Tradition an. Sie besteht auf Universalien, auf normative Fundierung, in diesem Sinne auf der Notwendigkeit einer Philosophie.

Die Texte: "Feminismus und Postmoderne. Ein prekäres Bündnis" (9-30) und "Subjektivität, Geschichtsschreibung und Politik. Eine Replik" (105-121)

Butler trägt ihre Version einer performativen Diskurs- und Machttheorie vor (anschließend an "Das Unbehagen der Geschlechter" und "Körper von Gewicht"; und widerspricht damit Benhabib zentral.

Die Texte: "Kontingente Grundlagen: Der Feminismus und die Frage der "Postmoderne" (31-58 und "Für ein sorgfältiges Lesen" (122-131) Hier erklärt sie Performanz im Anschluss an u.a. Austin; sie macht hier ganz gut deutlich, wie sich Handlungsfähigkeit in ihr Modell einfügen lässt (durch die Widerholung, grob gesagt), ohne sie zu substantialisieren und außerhalb/vor des Diskurses zu denken.

Fraser versucht einen dritten oder vierten Weg, einen pragmatischen Weg, indem sie die Stärken und Schwächen des jeweiligen Ansatzes thematisiert. Sie ist die einzige, die in den Diskussionen auf die Verwobenheit von Geschlechterverhältnissen, Rassismus und kapitalistischen Verhältnissen hinweist.

Die Texte: "Falsche Gegensätze" (59-79) und "Pragmatismus, Feminismus und die linguistische Wende" (145-160)

Cornell beruft sich auf Lacan und in der Folge auf Derrida. Sie geht mit Lacan davon aus, dass "die Strukturen der bewussten Sprache durch unbewusstes Auslöschen des Weiblichen aus der symbolischen Ordnung, das vom Auslöschen der Mutter untrennbar ist, geschlechtlich bestimmt werden." Dieser grundsätzlichen Dekonstruktion folgend kommt sie zu einer Utopie der Erschaffung eines "weiblichen Symbolischen das sich aus der weiblichen Imagination speisen sollte".

Die Texte: "Gender, Geschlecht und gleichwertige Rechte" (80-104) und "Die Zeit des Feminismus neu gedacht" (133-144)

Benhabib, Seyla:

Seyla Benhabib, Jg. 1950, ist Professorin für Politische Theorie am Department of Government der Harvard University. Sie ist Verfechterin der Diskursethik (sh. auch die Fortbildung zur Moral der SPSH 1997), allerdings in kritischer feministischer Distanz zu Habermas, was dessen strikte Trennung von privat und öffentlich betrifft. Politisch bekennt sie sich in der Tradition des politischen Liberalismus zu einer "deliberativen Demokratie". Sie hat Kooperationszusammenhänge zu VertreterInnen der Kritischen Theorie in Deutschland; das Buch von 1999 basiert auf ihren im Juni 1997 in Frankfurt gehaltenen "Max Horkheimer Vorlesungen". Dieser theoretische Hintergrund lässt sie den radikaleren postmodernen oder poststrukturalistischen Theorieansätzen kritisch gegenüberstehen.

Bertrand, Ute (1994): Die Modellbauer oder Der Glaube an die Macht der Gene. In: beiträge 38, S. 119-130

Butler, Judith:

Judith Butler ist Philosophin und lehrt an der Universität Berkeley in Kalifornien Rhetorik. Sie eine exponierte Vertreterin eines dekonstruktivistischen Feminismus und gilt als die Haupttheoretikerin der queer theory. Trotz der nicht gerade leicht verdaulichen Theorie und Sprache ihrer Bücher wird sie über die wissenschaftliche Szene hinaus wahrgenommen. Der Tagesspiegel vom 22.10.99 stellt sie im Porträt vor mit dem Titel: "Judith Butler – Die Philosophin als Popstar". Ihre persönlichen Auftritte scheinen sehr beeindruckend zu sein.

Cheiter, Silvia (2000): Menschenrecht auch für Frauen. In: Argument 234

Cissé, Madijiguène (2000): Afrikanerinnen in Europa. In: Argument 234

Del Mar Castro Verde, Maria (1999): Lesben im Exil. In: beiträge 52

Dröge-Modelmog, Ilse, Flaake, Karin (1997): Frauen und Geschlechterstudien an BRD-Hochschulen. In: Zeitschrift für Frauenforschung Jg 15, Heft 4, 7-19

Die Autorinnen sind beide Professorinnen am Institut für Soziologie und Sozialforschung an der Universität Oldenburg, an der es seit 1997/98 auch einen Studiengang "Frauen- und Geschlechterstudien" gibt.

Duden, Barbara:

Barbara Duden ist Professorin in Hannover am Institut für Soziologie. Im Schwerpunkt hat sie sich mit der Geschichte des erlebten Körpers befasst. Sie ist eine vehemente Kritikerin der Poststrukturalistinnen, denen sie die Vernachlässigung der körperlichen Erfahrungen von Frauen vorwirft, gerade auch, was Schwangerschaft und Geburt betrifft. Sie selbst besteht auf darauf, diese Erfahrungen zum Ausgangspunkt der Kritik zu machen, was sie zu einer eher "kulturkonservativen" Feministin macht.

Fraser, Nancy:

Nancy Fraser ist Professorin für Philosophie und lehrt im Center for Urban Affairs and Policy Research sowie im Women’s Studies Program an der Northwestern University in Evanston/Ill. (Früher war sie an der Universität in Chicago). Sie hat sich sowohl mit "postmodernen" TheoretikerInnen auseinandergesetzt sowie mit der Kritischen Theorie (ihr Buch von 1994 enthält Aufsätze zu Foucault, Derrida, Habermas und Rorty); ich habe sie auch schon als Vertreterin des amerikanischen Pragmatismus zitiert gefunden. Ihre mir bekannten eigenen theoretischen Entwürfe befassen sich mit philosophisch-praktischen Fragen zum Wohlfahrtsstaat. Ihre oben genannte Aufsatzsammlung bezeichnet sie selbst als "Versuch einer sozialistisch eingestellten Feministin und früheren Aktivistin der Neuen Linken, eine politisch engagierte, kritische Intellektuelle innerhalb der Universität zu sein" (S.9)

Fuchs, Sabine (2000): "Was man nicht erfliegen kann, muß man erhinken" – Zur Feministischen Rezeption von Queer Theorie im deutschsprachigen Raum. In: Subjekt und Erkenntnis

Galster, Ingrid (2000): Kurz vor dem Brechreiz. Die Rezeption von Beauvoirs Anderem Geschlecht. In Arg. 235

Genschel, Corinna (1996): Fear of a queer planet: Dimensionen lesbisch/schwuler Gesellschaftskritik. In. Arg. 216

Gerhard, Ute:

Ute Gerhard, Jg. 1939, ist Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Frauenforschung an der Universität Frankfurt/Main. Ihre Hauptarbeitsgebiete sind: Feministische Theorie und Geschichte, Sozialpolitik, Rechtssoziologie und Rechtsgeschichte. Diejenigen ihrer Beiträge, die ich gelesen habe, zeichnen sich durch hohe Sachkompetenz und genaue Argumentation aus.

Hark, Sabine:

Sabine Hark, Jg. 1960, Soziologin und Habilitationsstipendiatin an der Universität Potsdam gehört zu den engagiertesten und entschiedensten Vertreterinnen der queer theory in Deutschland. Ihr Text von 1993 hierzu gilt in dieser Hinsicht als "bahnbrechend". Ihr Arbeitsschwerpunkt sind Lesbische Identitäts- und Subjektkonstruktionen; sie hat zahlreich veröffentlicht.

Landweer, Hilge (1994): Jenseits des Geschlechts? Zum Phänomen der theoretischen und politischen Fehleinschätzung von Travestie und Transsexualität, in: Geschlechterverhältnisse und Politik

Lorey, Isabell (1996): Immer Ärger mit dem Subjekt. Theoretische und politische Konsequenzen eines juridischen Machmodells: Judith Butler. Tübingen: edition diskont. Eine Diskussion des Butlerschen Ansatzes; im zweiten Kapitel eine Gegenüberstellung des Butlerschen und Foucault’schen Diskurs und Machtbegriffs (nach Wille zum Wissen)

Haraway, Donna:

Donna Haraway ist Biologin und Wissenschaftshistorikerin und lehrt an der Universität von Santa Cruz in Kalifornien feministische Theorie. Sie plädiert für eine intensivere Auseinandersetzung feministischer Wissenschaftlerinnen mit den Technik- und Naturwissenschaften. Ihr "Cyborg Manifest" (in "Die Erfindung der Natur" im Original von 1985) hat z.B. auch Marge Piercys Roman "Er, Sie und Es" beeinflusst (zum Thema Menschen und Cyborgs in der Zukunft; mein persönlicher Literaturtipp). In Deutschland wurde sie erst ab Mitte/Ende der 90er verstärkt rezipiert. Leider gehe ich im Referat praktisch nicht auf sie ein, was insbesondere deswegen schade ist, weil mit ihr die Diskussion der letzten Fortbildung am besten fortgeführt hätte werden können.

McIntosh, Mary (1991) Der Begriff "Gender". In: Argument 190

Nagl-Docekal, Hertha (2000): Feministische Philosophie. Frankfurt/M: Fischer

Hertha Nagl-Docekal ist Professorin für Philosophie an der Universtät Wien. Sie bezieht sich, zwar in historischer und feministischer Distanz, aber in den Grundpositionen positiv auf Kant, und ist Vertreterin einer universalistischen Moraltheorie.

Nicholson, Linda (1994): Was heißt Gender? In: Geschlechterverhältnisse und Politik.

Linda Nicholson ist Professorin für Philosophie an der State Univeristy of New York, Albany. Sie hat den, wie mir scheint für die feministische Diskussion in USA wichtigen Sammelband Feminism/Postmodernism 1990 herausgegeben.

Harding, Sandra (1990): Feministische Wissenschaftstheorie. Hamburg: Argument

Sandra Harding ist Professorin für Philosophie und Leiterin der Women’s Studies an der Universität von Delaware. Sie ist Mitherausgeberin verschiedener Zeitschriften, u.a. von Signs: Journal of Women in Culture and Society und Hypathia: A Feminist Journal of Philosophy, beides sehr renommierte und auch bei uns vielzitierte feministische Zeitschriften. Sie ist im internationalen Beirat der Frauenredaktion des Argument.

Hennessy, Rosemary

Rosemary Hennessy, Jg. 1950, ist associated professor of englisch an der Universität Albany, New York. Sie vertritt eine materialistische Position, ihre Veröffentlichungen auf Deutsch sind alle im Argument; sie arbeitet zu Feministischer Theorie und lesbian and gay studies.

Smith, Dorothy (1998): Der aktive Text. Eine Soziologie für Frauen. Hamburg:Argument. Zur Auseinandersetzung mit dem postmodernen Feminismus das Kapitel "Das außerkörperliche Subjekt. Widersprüche im Feminismus"

Dorothy Smith, Jg. 1926, geboren in England, ist Professorin für Soziologie an der Universiät Toronto. Sie verbindet konsequent Marx mit dem Feminismus und gilt als Exponentin der Standpunkt-Theorie. Frigga Haugs Vorwort zum oben genannten Buch beschreibt eine akribische und leidenschaftliche Denkerin. Ich finde ihr Buch äußerst lesenswert, und hätte ihrem Ansatz gerne ein eigenes Referat gewidmet.

Soine, Stefanie (1999): Queer als Herausforderung: Lesben zwischen Heterosexismuskritik und Lifestyle. In: Beiträge zur feministischen theorie und praxis 52: Lesbenleben quer gelesen

Weber, Jutta:

zurück



zur Materialienseite


zur Homepage