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  Rede zum 15-Jährigen Jubiläum der SPSH am 2.7.02
von Christian Schultz

  15 Jahre SPSH - Im Zusammenhang mit der Einladung zu dieser Veranstaltung bekam ich des öfteren die Reaktion zu hören: Was, so lange gibt es euch schon? Ja, so lange gibt es uns schon, und es war ein langer Weg bis zum heutigen Tag. Ich möchte kurz einige Stationen benennen:

1986 - als die Idee in einer kleinen Gruppe von z.T. arbeitslosen PsychologInnen und PsychologiestudentInnen entstand;

1987 - als der Verein gegründet wurde, einige Monate später die ersten Räume in der Vereinsstr. angemietet wurden und die Arbeit begann - zunächst ehrenamtlich und wiederum einige Monate später mit ABM-Kräften;

1990 - als wir die Räume in der Bartelsstr. 30 bezogen, wo bis heute unser Sitz ist;

1992 - als wir zum ersten Mal über einen festen Haushaltstitel finanziert wurden;

1996 - das Jahr, das beinahe unser letztes geworden wäre, weil die BAGS uns den Finanzhahn zudrehen wollte, und wo wir dank einer Unterstützung, deren Ausmaß uns selber überrascht hat, dann doch weiterarbeiten konnten - freilich mit halbiertem Etat;

und die Jahre von 1997 bis heute, in denen wir immer wieder um unsere Existenz bangen mußten und gleichzeitig darauf angewiesen waren, auf allen erdenklichen Wegen zusätzliche Mittel zu beschaffen, weil unser Etat vorne und hinten nicht reicht.

Fürwahr ein langer Weg, und doch bin ich auch selber erstaunt und könnte sagen: was, so lange gibt es uns schon? Ich glaube, dieses Erstaunen hat auch etwas damit zu tun, daß wir den Eindruck vermitteln, daß wir immer noch nicht etabliert sind, und das meine ich nicht im Sinne mangelnder Bekanntheit. Vielleicht sollten wir nach dem Vorbild eines anderen Vereins aus dem Stadtteil - des FC St.Pauli nämlich - unser Logo um die Unterzeile ergänzen: »not established since 1987«

15 Jahre - in dieser Zeit hat sich vieles verändert - sicher auch wir - mehr noch aber die Umstände und der Zeitgeist:

Eines aber hat sich nicht verändert - und das ist unser Name. SPSH - solidarische psychosoziale Hilfe - für diesen Namen haben wir uns oft dumme Bemerkungen anhören müssen und haben uns auch selbst so manches Mal über ihn geärgert. Ein Zungenbrecher, den sich kein Mensch auf Anhieb merken kann; der auch nichts mit Hafen und Meer zu tun hat, was ja in Hamburg fast ein Muß ist, - und dann der Begriff Solidarität. Wir sind oft gefragt worden, was das eigentlich heißen soll.

Nun, vieles hat sich verändert, und vieles ist schwerer geworden. Die Antwort auf diese Frage aber ist leichter geworden. Ich probiere eine erste Annäherung:

Menschen »die Führung eines Lebens ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht«

Das ist nicht von mir, sondern ein Zitat aus dem Bundessozialhilfegesetz. Oder:

»Wie fair und gerecht eine Gesellschaft ist, zeigt sich darin, ob sie einem gestrauchelten die Hand reicht, um aufzustehen und selbst weiterzugehen.«

Auch das ist nicht von mir, sondern von der Sozialsenatorin Frau Schnieber-Jastram. Frau Schnieber-Jastram wird ebenfalls nicht müde zu betonen, daß, wer Hilfe braucht, diese auch bekommen wird. Das klingt gut, aber die betriebene Politik fordert die Nachfrage heraus: Wer definiert eigentlich, wer Hilfe braucht und wer nicht? Zu befürchten ist, daß hier die Umkehrung gilt: Nur wer Hilfe bekommt, braucht sie auch wirklich.

Denn es gilt auch: Wer sich selbst helfen kann, aber nicht will, bekommt keine Hilfe. Oder einfacher: Wer arbeiten kann, aber nicht will, bekommt kein Geld. Völlig außen vor bleibt die Tatsache, daß eben nicht jeder, der arbeiten will, auch bezahlte Arbeit findet - die Zahl der Arbeitslosen übersteigt die der offenen Stellen um ein Vielfaches, und ein gefundener Job löst das Problem nicht, wenn dafür jemand anderes arbeitslos wird. Nur wer dies nicht wahrhaben will, kann es sich so einfach machen, Erwerbslose auf phantasierte Arbeitsplätze zu verweisen.

Erst recht unsolidarisch ist es aber, den Betroffenen unter Verweis auf derart windige Konstruktionen den Willen zur Arbeit abzusprechen und ihnen gleich auch noch das Recht auf eine menschenwürdige Existenz absprechen zu wollen.
Solidarität heißt für uns: Dieses Menschenrecht kann nicht an irgendeine Form von Wohlverhalten gekoppelt werden.

Nun übermittelte ein anderer, noch bekannterer Jubilar als wir - ich meine die Bild-Zeitung - der Öffentlichkeit zum selben Thema die Botschaft des Bundeskanzlers: Es gibt kein Recht auf Faulheit.

Das ist in der Sache sicher richtig, soweit mir meine juristischen Kenntnisse dies zu beurteilen erlauben. Das Problem ist: Meines Wissens hat auch niemand je das Gegenteil behauptet. Allerdings hat vor längerer Zeit einmal jemand dieses Recht eingefordert. Der Mann hieß Paul Lafargue, und er tat dies in der Auseinandersetzung mit seinem Schwiegervater. Mir ist nicht bekannt, ob Bild-Zeitung und Bundeskanzler dem Schwiegervater in dieser Auseinandersetzung beispringen wollten; ich habe allerdings meine Zweifel, denn der Schwiegervater heißt Karl Marx.

Aber jeder weiß, daß es natürlich um etwas anderes geht: Nicht um ein Recht auf Faulheit, sondern um das Recht, nicht jede Arbeit für jeden Lohn an jedem Ort tun zu müssen. Darf ein Erwerbsloser noch sagen:
Ich möchte eine Tätigkeit ausüben, in der ich einen Sinn sehe und die mir eine gewisse Befriedigung verschafft?
Darf er noch sagen: Ich möchte nicht an der Haustür oder am Telefon wehrlosen älteren Menschen Zeitschriftenabos, Lexika oder Versicherungen aufschwatzen, die diese nicht brauchen und sich oftmals auch gar nicht leisten können? Einfach nur deswegen, weil ich es für moralisch nicht vertretbar halte? Oder zeigt sich hier ein Anspruchsdenken, daß wir uns heute nicht mehr leisten können? Für mich ist die Antwort klar, und auch das heißt für mich Solidarität: Jede und jeder muß das Recht haben, Tätigkeiten abzulehnen, die für sie oder ihn sinnlos oder moralisch nicht erträglich sind.

Und dies ist nicht nur eine Frage des Anstands, sondern auch eine Frage der Vernunft: Denn aus unserer Arbeit wissen wir nur zu genau: Wenn gegen dieses Gebot verstoßen wird, treibt man Menschen in die Verzweifelung und das wird sich langfristig rächen, weil die Folgekosten jeden kurzfristigen ökonomischen Nutzen um ein Vielfaches übersteigen werden. oder - und hiermit möchte ich schließen - um es mit einem Zitat von Pierre Bourdieu zu sagen, jenem berühmten französischen Soziologen, der leider vor einigen Monaten verstarb:

»Man muß den intelligenten Herrschenden sagen: Unsere Untersuchungen über die Zukunft Europas ergeben, daß die Kehrseite einer radikalen Ökonomisierung eine Zunahme der Kriminalität und der Krankheiten nach sich ziehen wird. Beides ist ansteckend. Irgendwann könnten auch sie sich anstecken.«

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